Romkerhall
Geschichte der Königlich- Hannoveranischen- Kammergut- Staatsdomäne Romkerhall


Auszug aus dem Gutachten k. k. Regierungsrathes Prof. Dr. Neumann zu Wien vom 24. April 1868.

Da der Hauptpunkt der Fragestellung des Gutachtens darin Bestand, ob der Anklage-Senat des Kammergerichts berechtigt war, den Grafen von Platen-Hallermund, als königlich preußischer Unterthan zu bezeichnen und ihn in dieser Eigenschaft, wie geschehen, zur Verantwortung vorzuladen, erfolgt an dieser Stelle auszugsweises Zitat, die Punkte der hier behandelten Thematik betreffend:

(...)

Das Völkerrecht unterscheidet zwischen einer nur zeitlichen kriegerischen Besitznahme, der occupatio bellica, und der völligen Unterwerfung eines besiegten Landes.
Eine Thatsache aber ist die Eroberung Hannovers durch Preußen und die Einverleibung in den letzteren Staat. Und aus dieser Thatsache gehen, abgesehen von der Gerechtigkeit oder Ungerechtigkeit des Krieges für den Eroberer, der Kraft der Eroberung und einzig durch dieselbe in den Besitz der Staatsgewalt des gewaltsam depossedirten Fürsten eintritt, unläugbar gewisse Rechte hervor, und tritt der Eroberer, der, mit der völkerrechtlichen Terminologie zu sprechen, ein Usurpator ist, gegenüber von den Einwohnern des alten, jetzt aufgelösten Staates, in eigenthümliche Rechtsverhältnisse.

Das öffentliche Recht des unterworfenen Staates kann er, insofern nicht das Staatsrecht des Siegers ihm Beschränkungen oder Mitwirkung constitutioneller Faktoren vorschreibt, nach seiner Willkür, d. i. nach seinem freien Willen ordnen, das eroberte Land in beliebiger Unionsform mit dem obsiegenden Staate verbinden, ihm jure publico aequali oder inaequali incorporiren. Das im eroberten Lande bereits zur Zeit der debellatio bestehende Privatrecht (wir meinen nicht die privatrechtliche, änderbare Gesetzgebung), d. i. das aus Titeln des Privatrechts erwachsene Recht darf der Eroberer nach heutigem Völkerrechte nicht antasten. Ist doch - mit Ausnahme des Seekrieges - das Privatrecht und insbesondere das private Eigenthum selbst im Kriege kein Gegenstand feindlicher Occupation.
Das Staatseigenthum - unbewegliches wie bewegliches - steht der Verfügung des Siegers offen; das private, auch das des depossedirten Fürsten und seiner Familie, ist dieser Verfügung entzogen.
Was aber die Unterthanen des seines Herrscherrechtes beraubten Fürsten betrifft, ist es klar, daß sie als solche, als freie Wesen nicht etwa wie Pertinentien mit dem Boden cedirt, also auch nicht erobert werden können. Die Ausdrucksweise "neu aquirirte Unterthanen" gehört nicht mehr unserer Zeit an. Eine Nöthigung, im Unterthansverbande zu verbleiben, gibt es überall nicht, also auch keine zum Eintritt in einen neuen Unterthansverband, wenn der alte Staat durch die vis major des Feindes aufgelöst, einem anderen einverleibt wird.

Es muß den Unterthanen des unterjochten Staates vollkommen frei stehen, die neue Staatsgewalt anzuerkennen oder nicht. Folglich können sie in voller Freiheit auswandern, und nur thyrannische, mit den heutigen Rechtsbegriffen unvereinbare Gewalt könnte sie daran faktisch behindern. Verblieben sie, was wohl bei der Menge immer der Fall sein wird, im Territorium, das jetzt Bestandtheil eines neuen Staates geworden, so erklären sie dadurch stillschweigend, daß sie in den neuen Staats- und Unterthansverband eintreten, d. h. die Thatsache ihres Verbleibens wird nach dem heutigen Rechte als eine solche stillschweigende Erklärung angesehen. Der Personalstatus der Einwohner des eroberten und an den Eroberer übergegangenen Territoriums wird somit, wie Hallek, der neueste amerikanische völkerrechtliche Schriftsteller, der diese Frage (in seinem Werke International law New-York 1861 p. 818 und f.) am ausführlichsten behandelt, mit Recht bemerkt, durch ihre eigene Handlungsweise bestimmt.

Wenn wir auch von dem Umstande gänzlich absehen, daß Sr. Majestät König Georg V. in der Kapitulation von Langensalza vom 29. Juni 1866 das unbedingte Recht zuerkannt wurde, mit sammt seinem frei gewählten Gefolge seinen Aufenthalt in einem beliebigen Orte des Auslandes zu nehmen, daß Graf Platen zu diesem Gefolge ununterbrochen gehört hat bis zum heutigen Tage, so steht doch jedenfalls so viel unzweifelhaft fest, daß er Hannover vom Beginn der militärischen Occupation durch die Preußen an und wegen derselben verlassen hat, daß er also nicht nur nicht in Hannover verblieben, sondern das Land mit Vorbedacht und sine animo revertendi verlassen hat, daß er vielmehr seiner Stellung, seiner in unzweideutiger Weise geäußerten Gesinnung nach, sowie durch die Thatsache den animus non revertendi erklärt hat.
Somit hat Graf Platen sich weder ausdrücklich noch stillschweigend der - im völkerrechtlichen Sinn - für Hannover usurpatorischen Staatsgewalt des Königs von Hannover unterworfen, im Gegentheile die Absicht, sich derselben nicht unterwerfen zu wollen, ausdrücklich manifestirt. Durch diese Manifestation und Handlungsweise hat Graf Platen nach dem oben Erwiesenen nur ein ihm unzweifelhaft zustehendes Recht der persönlichen Freiheit ausgeübt.

Wenn daher der Eingans erwähnte Anklagebeschluß des Berliner Kammergerichtes vom 17. März l. Js. den Grafen Platen ohne weiteres "als königlich preußischen Unterthan" bezeichnet, so liegt in dieser absolut hingestellten Bezeichnung implicite eine Läugnung jener von uns im Einklange mit den bewährtesten Autoritäten des Staats- und Völkerrechtes aufgestellten Behauptungen, daß es dem Grafen Platen frei stehen mußte, die preußische Unterthanschaft anzunehmen oder sich derselben nicht zu unterwerfen. Dann läßt jener Anklagebeschluß offenbar keine andere Interpretationzu, als daß nach der Annahme des Anklagesenats durch die bloße Thatsache der Eroberung ohne irgend welche Rücksicht auf die ausdrückliche oder stillschweigende Willenserklärung der Einwohner des eroberten Landes, diese ipso facto et jure unmittelbar, also auch gegen ihren Willen Unterthanen des Eroberers werden müßen.

Eine solche abnorme, den einfachsten Rechtsgrundsätzen widerstreitende Auffassung, eine solche, alle Gränzen des an sich so furchtbaren und exzeptionellen Rechtes der Eroberung überschreitende Behauptung aber ist unseres Wissens seit Hugo Grotius bis auf unsere Tagevon keinem Völkerrechtslehrer aufgestellt, und wenn in der Praxis von einzelnen übermächtigen und übermüthigen Gewaltherrschern, wie Napoleon I., geübt, von dem einstimmigen Urtheile der gesitteten Welt verdammt worden. Hier passen die schönen Worte Montesquieu's in seinem Esprit des lois (I. X. C IV.): "C'est à un conquérant à réparer les maux qu'ill a faits. Je définis ainsi le droit de conquête: un droit nécessaire légitime et malheureux, qui laisse toujours à payer une dette immense, pour s'acquitter envers la nature humaine."

"Es liegt an einem Eroberer, das von ihm verursachte Übel wiedergutzumachen. So definiere ich das Recht auf Eroberung: ein legitimes und unglückliches notwendiges Recht, das immer eine immense Schuld zurücklässt, die beglichen werden muss, um sich gegenüber der menschlichen Natur zu befreien."

(…)
Wir hatten (...) nachzuweisen und glauben es in unwiderleglicher Weise gethan zu haben, daß Graf Platen, nach dem vorliegenden Sachverhalte und in Gemäßheit feststehender Grundsätze des Staats- und Völkerrechtes, nicht als königlich preußischer Unterthan qualifizirt und im Sinne Rechtens behandelt werden kann.

Wien, den 24. April 1868.
(gez.) Dr. Leopold Neumann,
k. k. Regierungsrath, ord. öff. Professor der Rechte an der Wiener Universität.