Romkerhall
Geschichte der Königlich- Hannoveranischen- Kammergut- Staatsdomäne Romkerhall

Vierter Abschnitt
Die Annexion


Wir haben in kurzen Zügen noch einmal die traurige und doch wieder so erhebende Geschichte der hannöverschen Junitage von 1866 beleuchtet, so verschieden im Ausgange von den Junitagen des Jahres 1815, und doch wieder für Hannover so ähnlich in der Gesinnung. Wir haben dabei zurückblicken müssen auf die schrille Dissonanz der Worte vom 18. Juni 1866 mit den Thaten vom 15. Juni 1866. Wir haben die mannigfachen Irrthümer des Ministers Herrn von Bismarck und seines Königs über diese Tage dargelegt. Damit ist indessen die Kette dieser Irrthümer noch nicht geschlossen. Wir werden auch fernerhin deren noch einige zu betrachten haben.

123 Jahre zuvor hatte an demselben 27. Juni, dem Tage von Langensalza, ein anderer König Georg, der Ur-Aeltervater Georgs V., seinen Hannoveranern voran einen glänzenden Sieg errungen. Der Sieg fiel schwer in der Wage zu denjenigen Oesterreichs über dieselben Feinde. Anders war es 1866. Der Sieg der Hannoveraner von 1866 ward für damals und für eine Zeit, deren Ende sich noch dem menschlichen Auge verbirgt, erdrückt durch die Uebermacht. Auf Seiten Oesterreichs war nicht ein Sieg.

Hannover hatte kein Bündniß mit Oesterreich. Es hatte vielmehr, um seine Loyalität in der offenkundigen Weise darzulegen, das früher angebotene Bündniß zurückgewiesen. Gemeinsam war für Hannover mit dem Kaiserstaate nur der deutsche Bund, welchen der König Wilhelm von Preußen im Jahre 1860 niemals und unter keinen Verhältnissen erschüttern zu wollen, unaufgefordert gelobt hatte, und welchen nicht zu erschüttern, sondern zu zerstören er im Jahre 1866 den Fluch des brudermörderischen Krieges über Deutschland brachte. Aber das Unglück von Oesterreich trieb diese Macht aus dem deutschen Bunde, und ließ eben dadurch dem Könige Wilhelm gegen die schwächeren freie Hand.

In der Auffassung dieser Dinge sehen wir wieder die Irrthümer des Ministeres Herrn von Bismarck und des Königs Wilhelm auftreten.

Herr von Bismarck redete am 11. März 1867 im Reichstage des Norddeutschen Bundes über das rechtswidrige Erbrechen eines Briefes des Königs von Hannover durch den General Voigts-Rheetz. Der Minister behauptet, daß durch dies Handlegen an ein Siegel des Königs Georg V. von Hannover die Instruction des Königs Wilhelm von Preußen überschritten sei. Er meint, dergleichen könnte überall vorkommen. Es ist das eine Ansicht, die wahrscheinlich jeder andere Minister eines anderen Staates ablehnen würde, wenigstens insoweit, daß dergleichen Attentate straflos ausgehen könnten. Indessen das ist eine Meinung. Wir wollen aber nicht Irrthümer in Meinungen besprechen, sondern Irrthümer in Thatsachen. Der Herr Minister nämlich fährt fort (S. 144 der Stenogr. Berichte): „Daß es nicht in unseren Gewohnheiten liegt, das zeigt am besten der fortgesetzte Aufenthalt der Königin Marie auf der Marienburg ungeachtet der fortgesetzten Weigerung ihres Herrn Gemahles, Frieden mit uns zu schließen.

Dieser principielle Irrthum des Herrn von Bismarck, als habe es von dem König von Hannover abgehangen, zum Frieden mit Preußen zu kommen, steht völlig auf gleicher Höhe mit dem anderen, als habe es von dem Könige von Hannover abgehangen, den Krieg zu vermeiden, den der König von Preußen ihm aufgezwungen hatte.

Von Preußen ist an den König von Hannover kein anderes Anerbieten gelangt, als dasjenige – wenn man das Anerbieten nennen will – vom 15. Juni: Vasallenschaft und Kriegsdienst für die Eroberungsplane von Preußen, oder Vertheidigung gegen Preußen. König und Volk waren einmüthig in der Wahl der letzteren. Bei Langensalza bot Preußen noch einmal durch den Obersten Döring dasselbe, mit dem Zusatze, daß dies Angebot, welches er mache, nicht mehr gelte.

Der König Georg V. ging nach Wien. Er ging dahin, nicht bewogen durch fremden Rath, sondern kraft eigenen Entschlusses, den er sofort nach der Capitulation von Langensalza gefaßt hatte. Zu diesem Zwecke hatte er sofort damals, am 29. Juni 1866, den österreichischen Gesandten Grafen Ingelheim, und seinen Flügel-Adjutanten, den O. L. von Kohlrausch, nach Wien an den Kaiser entsendet. Es war nicht die Absicht des Königs als Gast in der Kaiserburg zu wohnen. Am siebenten Tage nach Langensalza, dem 3. Juli, ward die Schlacht bei Königgrätz geschlagen. Für einige Tage noch wohnte der König in dem Schlosse „zur fröhlichen Widerkunft“, und führte dann seinen vorher gefaßten Entschluß aus. Er nahm seinen Aufenthalt in Wien zuerst in demselben Hause, welches der hannöversche Gesandte v. d. Knesebeck bewohnte, und bezog erst zu Ende August die Villa Braunschweig bei Hietzing. Von Wien aus schickte er am 28. Juli 1866 einen Adjutanten mit einem Briefe zum Friedenserbieten an den König Wilhelm von Preußen, der sich in Nicolsburg befand. Der Adjutant nahm zugleich ein Schreiben des Ministers Grafen Platen-Hallermund an den Grafen Bismarck mit und überreichte es. Es versteht sich, daß in diesem Schreiben auch der Inhalt des königlichen Briefes angegeben war.

In diesem Schreiben sagte der hannöversche Minister im Namen seines Königs, daß, nachdem durch Oesterreichs Austritt der deutsche Bund aufgelöst sei, er sich zum Frieden und Bündnisse mit Preußen bereit erkläre, und unter Anerkennung der Siegerstellung Preußens um Mittheilung der Friedensbedingungen bitte. Der Graf Bismarck nahm und las dies Schreiben. Es erfolgte dann an den Adjutanten die officielle Erwiederung, daß der König Wilhelm nicht in der Lage sei ein Schreiben des Königs Georg anzunehmen. Der Minister Graf von Bismarck fügte hinzu, daß er auf das erhaltene Schreiben des Grafen Platen-Hallermund antworten werde.

Es scheint, daß diese Thatsachen, die der Graf Bismarck doch in erster Person selber miterlebt hatte, ihm bereits am 11. März 1867 völlig aus dem Gedächtnisse entkommen sein müssen. In andere Weise wäre der auffällige Irrthum in den oben angeführten Worten: „ungeachtet der fortgesetzten Weigerung ihres Herrn Gemahles, Frieden mit uns zu schließen“ – da man doch bei einem preußischen Minister eine so freche Lüge nicht annehmen darf, gar nicht zu erklären.

Denn durch diese Verweigerung der Annahme seines Briefes  war dem König Georg V. einmal für immer der Weg abgeschnitten. Es war unmöglich, einen Versuch solcher Art zu wiederholen.

Aber der Graf Bismarck hatte eine Antwort an den Grafen Platen-Hallermund in Aussicht gestellt. Als eine solche nicht erfolgte, begab sich am 15. August 1866 der Herr von Hodenberg im Auftrage des Königs Georg V. nach Berlin. Er legte dem Grafen Bismarck die Frage vor, ob und wann derselbe die in Nicolsburg versprochene Antwort an den Grafen Platen-Hallermund geben wolle.

Der Minister Bismarck erwiederte auf diese Frage: die Annexion von Hannover sei eine unumstößlich beschlossene Sache. Mit dem König Georg und dem Minister Platen könne man nicht mehr verhandeln. Er werde dem letzteren antworten, wenn die Sache fertig sei. Nach der geographischen Lage und der bisherigen Haltung von Hannover könne Preußen nicht länger dasselbe in selbstständiger Unabhängigkeit in seinem Rücken dulden, und die Politik des Königs, die den Bestrebungen Preußens immer feindselig gewesen, habe erwiesen, daß Hannover niemals ein zuverlässiger Nachbar gewesen sei. – Lassen wir im Folgenden den Herrn von Hodenberg selbst reden: *)

*) Sechs Briefe über die Gewissens- und Begriffs- Verwirrung u. s. w. – Fünfter Brief S. 32. Erlangen bei Deichart. 1867.

„Ich entgegnete, daß Hannover keine preußenfeindliche Haltung beobachtet, sondern nur seine materiellen Interessen und seine Selbstständigkeit gewahrt habe. Es habe nicht zum Kriege gereitzt, nicht, wie viele im Lande verlangt, gerüstet – hier unterbrach mich Graf Bismarck: „„das hätte auch nichts genützt, wir wären nur früher eingeschritten““ – da ferner Hannover keine besondere Verpflichtung weder gegen Preußen, noch gegen Oesterreich bis zum Ausbruche des Krieges übernommen, sondern sich bis an das Ende streng an die Bundesgesetzte gehalten habe: so sei es eben da, wo es Verpflichtungen gehabt, auch zuverlässig gewesen, und habe damit eine Garantie für seine Treue und Zuverlässigkeit auch für die Zukunft und für einen mit Preußen abzuschließenden Bündnißvertrag gegeben. Graf Bismarck nahm dies gar nicht in Abrede, bemerkte aber: der Bund sei ein Stück Papier gewesen, welches nur dazu gedient habe, daß die deutschen Fürsten sich beständig den Bestrebungen Preußens widersetzt und gegen dieselben intriguirt hätten.

Die Gesinnungen der hannöverschen Regierung seien noch in den letzten Verhandlungen und militärischen Maßregeln, worin sie sich durchaus schwankend und schwach gezeigt, als unzuverlässig documentirt. Gegen die Erwiederung, daß aus solchen bei der gefährlichen Sachlage und den verschiedenen Ansichten im Lande erklärlichen Schwankungen, wenn damit keine Verpflichtung verletzt würden, doch kein Vorwurf des Unrechtes und kein Recht der Vernichtung gegen Hannover erhoben werden könne, sagte Bismarck: „„Es handelt sich bei diesem Kampfe um die Existenz, um die heiligsten Interessen von Preußen, und wo es sich um die Existenz von Preußen handelt, kenne ich kein Recht!““ Ich sagte, ich könne und wolle nicht glauben, daß Graf Bismarck durch ein solches Vorgehen die Grundlage der conservativen Politik, auf der er seine bisherige Politik aufgebaut, untergraben werde. Kein Conservativer in Preußen würde noch die Sätze eines Stahl und Gerlach, die Prinzipien des göttlichen und conservativen Rechts, aussprechen dürfen, immer würden die Hannoveraner ihnen antworten: Ihr habt kein Recht mehr so zu sprechen, und die conservative Partei würde in dem fortdauernden Kampfe gegen Demokratie und Revolution allen Boden verloren haben. Graf Bismarck antwortete: „„Wo es sich um die Existenz Preußens handelt, alliire ich mich mit der Revolution und wo ich Hilfe finde.““

„Auf die Bemerkung, daß Sr. Majestät von Verständigungsversuchen, von denen Graf Bismarck dem Grafen Münster gesagt haben solle, nichts bekannt sei, daß der König, wenn er seine Dynastie damit retten könne, gern seine Krone zu Gunsten des Kronprinzen niederlegen würde, daß ihm aber bis dahin – abgesehen in der letzten Zeit von einem kurfürstlichen Verwandten als guter Rath – ein solches Ansinnen als von der preußischen Regierung kommend gar nicht gemacht worden sei, entgegnete Graf Bismarck: das sei richtig, der Graf Münster müsse ihn falsch verstanden haben; die Abdankung sei von der preußischen Regierung nicht angerathen, könne auch nichts helfen; in Nicolsburg sei es vielleicht noch Zeit gewesen, jetzt sei es zu spät. Ueberall seien die Schwierigkeiten mit jedem Könige von Hannover für die preußische Action zu groß, wie schon das Beispiel Sachsens lehre, wo ein wahrscheinlich unhaltbarer Zustand hergestellt werde, und sei daher die Annexion das einzige Mittel, darüber hinwegzukommen.

Ich äußerte meine Ansicht, daß ein Bundesverhältniß, wobei ja Hannover Opfer bringen, und die militärische und diplomatische Action in Preußens Hände zusammengefaßt sein würden, nicht nur in Deutschland, sondern auch in Preußens Interesse der einzige Heil versprechende Ausgang aus der gegenwärtigen Sachlage sei. Das hannöversche Volk, das eben so wie seine Regierung bis zuletzt treu am Bunde gehalten, auch seinerseits mit Ausnahme einiger Demokraten, an deren Sympathien Preußen wenig gelegen sein könne, treu an seinem Königshause hänge, biete dem neuen Bunde Garantie; dagegen werde die Annexion Preußen in einen unheilvollen Weg treiben, und das hannöversche Volk in die größte Verzweiflung, in die furchtbarsten Gewissenszweifel, und in einen Kampf des, wenn auch nicht revolutionären, doch moralischen Widerstandes drängen, von dessen Bedeutung der zehnjährige Widerstand, den Hannover der französichen Herrschaft am Anfange dieses Jahrhunderts entgegengesetzt, ein Vorbild gebe. Graf Bismarck erwiederte, er verkenne diese Schwierigkeit nicht, er achte die Treue und Zähigkeit des hannöverschen Volkes, das er kenne, er habe Sympathie für dasselbe, er bedauere, daß ein solcher Widerstand, den er auch vorausgesehen, Statt finden müsse, indessen werde das mit einer Generation zu Ende sein.“

„Ich fragte nochmals, ob Graf Bismarck wirklich die Absicht habe, auf keine Verhandlungen einzugehen, und die versprochene Antwort nicht zu geben, und bemerkte, als Graf Bismarck sich nicht mehr erinnern zu können meinte, daß er eine Antwort versprochen habe, – der Adjutant meines Königs habe mir noch vor einigen Tagen dieses bezeugt, und den Vorgang erzählt, worauf Graf Bismarck erwiderte, er werde dem Grafen Platen persönlich antworten, und bitte mich, demselben dieses zu sagen. Darauf entgegnete ich daß ich mit dem Grafen Platen nicht auf so intimem Fuße stände, um die persönlichen Beziehungen der beiden Herren vermitteln zu können; der überbrachte Brief sei ein officielles Schreiben des Ministers meines Königs mit der Bitte um Mittheilung der Friedensbedingungen an den Minister des Königs von
Preußen gewesen; dieser habe dasselbe angenommen und zu beantworten versprochen, und nun sei ich eben mit dem Auftrage gekommen, den Herrn Grafen zu fragen, ob und wann er sein Wort lösen wolle. Graf Bismarck erwiederte: „„er werde antworten““. –

Dann fügt der Herr v. Hodenberg noch hinzu:

„Der Graf Bismarck verschmähte mir gegenüber alle jene Verläumdungen und Verdrehungen, womit die preußischen Blätter dem Angriffe gegen Hannover und der Annexion den Schein des Rechtes zu geben suchten. Er erkannte an, daß Hannover keine besondere Verpflichtungen weder gegen Preußen noch gegen Oesterreich eingegangen sei, oder daß es sonst Anlaß zum Kriege gegeben habe eben so, daß Hannover seine Bundespflicht erfüllt habe. Er warf unserer Regierung Unzuverlässigkeit und Feindseligkeiten nur in dem Sinne vor, daß sie die auf die Mediatisirung der Nachbarstaaten und die Sprengung des Bundes gerichtete Politik von Preußen nicht unterstützte.“ –

Dies alles auf den eigentlichen Kern zusammen gedrängt, würde im Munde des Herrn v. Bismarck lauten wie folgt: Ich erkenne an, daß die Politik Hanovers den Forderungen des Rechtes und der Ehre entsprach. Nicht darum habe ich es mit Krieg überzogen, es erobert, und will es jetzt für Preußen annexieren. Ich nehme es, weil für meine Politik diese Forderungen des Rechtes und der Ehre nicht existiren, sondern lediglich und allein diejenigen des Wachsthumes von Preußen. Vor dieser Forderung erstirbt jedes Recht. Das Verbrechen von Hannover gegen Preußen ist seine geographische Lage, seine Existenz. Dies Verbrechen ist ein bleibendes, konstantes, eine beständige Herausforderung. Dasselbe zu sühnen gibt es kein anderes Mittel, als die Vernichtung von Hannover.

Der Inhalt dieser Sätze stimmt genau überein mit der noch kürzeren, der bündigeren Fassung, welche derselben Politik einst durch den König Friedrich II. gegeben wurde: S’il y a à gagner à être honnête homme, nous le serons; et s’il faut duper, soyons done fourbes. „Wenn sich mit der Ehrlichkeit etwas gewinnen läßt, so wollen wir ehrlich sein; und wenn wir der Täuschung bedürfen: soyons fourbes *).

*) Arenth: Maria Theresia. Band I, ganz am Ende.

Es ist dabei nur der eine Unterschied, daß der König Friedrich II., der zu seiner Zeit den national-liberalen Schwindel einer deutschen Einheit unter Preußen noch nicht kannte, französich sprach und schrieb. Das Wesen der Sache ist dasselbe. Wir glauben annehmen zu dürfen, daß der Herr v. Bismarck und sein Parlament den geeigneten national-deutschen Ausdruck für das französische Wort fourbes finden werden. Aber mit dem Nachdruck erinnere ich noch einmal zum Ueberflusse daran, daß diese Charakteristik nicht von mir ausgeht, sondern die eigene Arbeit Friedrichs II. ist, eines Königs, dessen Autorität für jeden echten Preußen über alle Zweifel erhaben sein muß.

Uebrigens nehmen wir an, daß der Herr v. Bismarck aus diesen Grundsätzen wie er sie dem Herrn v. Hodenberg am 15. August 1866 ausgesprochen, auch sonst kein Hehl gemacht habe. Aber eben darum ist es schwer zu begreifen, wie er am 11. März zu dem Irrthume kommen konnte, vor seinem Parlament zu sagen, daß der König von Hannover sich fortgesetzt weigere, Frieden mit Preußen zu schließen, er, der auf das genaueste wußte, daß der König von Hannover alles gethan, was Ehre und Recht gestatteten, um den Krieg zu vermeiden, und dann alles gethan, was Ehre und Recht gestatteten, um wieder zum Frieden zu gelangen.

Die Annexion geschah. Es erfolgte kein Friedensschluß, weil Preußen jede Möglichkeit, zu demselben zu gelangen, hinweg genommen hatte.

Demgemäß erließ der König von Hannover vor Gott und aller Welt seine Protestation gegen das ihm und seinem Volke angethane Unrecht. Deutschland und Europa betrachten diese Protestation als das politische Glaubensbekenntniß des Königs Georg V. Er gab seinem Volke gegenüber diesem Proteste einen besonderen Ausdruck in der Proclamation, welche mit ihm sein gleichgesinnter Sohn, der Kronprinz Ernst August von Hannover, unterzeichnete. Die Proclamation entsprach dem Rechtsgefühle des Volkes. Sie ist in den Händen aller Hannoveraner.

Mithin dauert der Kriegszustand fort. Es sind dies, wie wir aus zuverlässiger Quelle vernehmen, die eigenen Worte des König Wilhelm von Preußen in seinem Drohbriefe an die Königin Marie von Hannover im Mai 1867: „Der Kriegszustand dauert fort.“ Und in diesem Falle begeht der König Wilhelm keinen Irrthum. Der Kriegszustand dauert fort.

Der König Wilhelm hat nicht Frieden schließen wollen mit dem Könige Georg V., also auch nicht mit dem Königreiche, welches der König Georg V. in völkerrechtlich anerkannter Weise vertritt. Die Hannoveraner gehorchen zur Zeit der preußischen Gewalt, weil sie nicht anders können. Aber der factische Zustand ist darum nicht rechtlicher. Zur Begründung eines Rechtszustandes ist als Grundlage erforderlich ein Vertrag. Ein solcher Vertrag ist nicht vorhanden.

Der Zustand ist analog demjenigen, welchen das Königreich schon einmal durchgemacht hat. Hannover ward im Jahre 1803 von den Franzosen occupirt. Der König Georg III. protestirte. Ein Friedensvertrag kam nicht zu Stande. Frankreich verschenkte im Jahre 1806 das Land, welches es factisch, nicht in völkerrechtlich anerkannter Weise besaß, an Preußen *). 

*) Damals, im Juni 1806, fügte der hannöversche Staatsmann Münster im herben Schmerze über das Schicksal seines Vaterlandes einer Denkschrift über dasselbe die Worte des Römers Seneca hinzu: „das Scepter ist geraubt, aber es wird gehalten mit sorgenvoller Hand. Alle Zuversicht beruht auf dem Eisen. Was genommen ist wider den Willen aller Bürger, das wird nur erhalten durch das gezogene Schwert. Allein wo keine Scham mehr ist, keine Rücksicht auf das Recht, wo die wahre Religiösität und Treue nicht mehr gilt, ein solches Reich kann nicht von Dauer sein.“ – Lateinisch:
Rapta sed trepida manu obtinentur sceptra: omnis in ferro salus est. Quod civibus tenetur invitis, solummodo strictus tuetur ensis. Ubi non adest pudor neque cura juris, nec pietas fidesque, haud stabile regnum est

Vier Monate später schlug Frankreich dasselbe Preußen zu Boden. Preußen trat im Frieden von Tilsit alle seine Länder westwärts von der Elbe an Frankreich ab.

Allein Preußen konnte nur das abtreten, was in völkerrechtlich anerkannter Weise ihm gehörte. Da es auf Hannover keinen Rechtstitel irgend  welcher Art hatte, so wechselte Hannover nur abermals den Usurpator.

Dies Verhältniß ist von besonderer Wichtigkeit zur Klarstellung des Unterschiedes, der für den Befreiungskampf der Hannoveraner gegen Frankreich von demjenigen Preußens obwaltete.

Die Hannoveraner wurden in ihrem Wunsche, ihrer Sehnsucht, in der Bethätigung derselben zur Befreiumg des Vaterlandes nicht gehemmt durch einen Friedensvertrag ihres rechtmäßigen Königs. Ihr Recht war ihre Pflicht. Darum haben sie damals von 1806 bis 1815 alle anderen deutschen Stämme übertroffen. Für die Preußen lag 1813 die Sache ganz anders. Sie mußten, um sich gegen Frankreich zu erheben, zuerst nicht bloß den Friedensvertrag von Tilsit im Jahre 1807, sondern auch den französich-preußischen Allianz-Vertrag vom 24. Februar 1812 zerreißen. Wir machen ihnen daraus, daß sie es gethan, keinen Vorwurf. Denn die maßlose Ausbeutung des Sieges durch die Unterdrücker, gab den Unterdrückten moralisch das Recht zurück, welches sie nach den positiven Satzungen nicht hatten. Demgemäß aber werden auch der Herr von Bismarck und der König Wilhelm selbst anerkennen, daß es auch sonst noch vielleicht ähnliche Fälle geben könne, in denen der Uebermuth des Siegers die Besiegten berechtigt, bei der ertsen günstigen Gelegenheit die mit Gewalt erzwungenen sogenannten Bundes-Verträge zu brechen. Wie Preußen damals, im Jahre 1813, in diesem Falle war, so können auch Andere in diesen Fall kommen. Dies kann sogar so geschehen, daß selbst eine kleinmüthig schwache Regierung, wie es im Beginne des Jahres 1813 die preußische war, durch den Willen des Volkes gedrängt wird, das zu thun, was sie aus sich nicht gewollt hätte. Nur für Hannover paßt das nicht. Es war 1813 – 15, oder richtiger bereits von 1803 an, nicht in diesem Falle, einen wenn auch erzwungenen Friedensvertrag erst brechen zu müssen. Und darum war der Widerstand Hannovers gegen die Fremdherrschaft, wo immer ein solcher Widerstand möglich war, nicht bloß moralisch, sondern auch völkerrechtlich durchaus gerechtfertigt. Die Sache Hannovers war eine durchaus reine.

Wir begreifen darum den freudigen Stolz, mit welchem der hannöversche Staatsmann Münster bei seiner Arbeit an der vaterländischen Aufgabe der Reorganisation damals niederschrieb: „Ich bin überhäuft von Geschäften, aber Gottlob in sofern von angenehmen, als ich mit Menschen zu thun habe, derem Gesinnungen durch eine zehnjährige Unterdrückung nicht haben vergiftet werden können! Die Deutschen sind doch ein herrliches Volk! Welche Schande, wenn sie fremden Einflusse und neuer Despotie überlassen bleiben sollten!“ – „Ich werde, fügt er hinzu, im Namen des Regenten so reden, wie das Haupt der Welfen für die deutsche Freiheit reden muß.“ Zu welchem Zwecke hatte er die ausreichende Vollmacht, und das ganze deutsche Volk erinnert sich gern, daß in erster Linie Hannover am Wiener Kongresse die wahre Freiheit vertrat, und daß, wenn der deutsche Bund die gerechten Hoffnungen der deutschen Nation nicht erfüllte, am kräftigsten und nachdrücklichsten dies sofort damals hervorgehoben wurde von dem Staatsmanne Münster im Namen seines Fürstenhauses. Die Dinge in Deutschland liegen ähnlich wie vor sechszig Jahren. Es bedarf nicht einer weiteren Ausführung dieser Aehnlichkeit.

In enger Verbindung mit der Annexion des Königreiches Hannover steht zunächst die Beschlagnahme des königlichen Vermögens, ferner die Vertreibung der Königin Marie von Hannover aus ihrem Privateigenthume, dem Schlosse Marienburg, und endlich die sogenannte Welfenverschwörung.

Betrachten wir zunächst die Beschlagnahme des Vermögens. Am 29. September 1867 wurde nach langen Verhandlungen ein Vertrag über die Auslieferung desselben von beiden Seiten angenommen. Die preußische Regierung legte ihrerseits im Febr. 1868 ihrem Landtage den Vertrag zur Genehmigung vor. Der Graf Bismarck machte aus der Annahme desselben eine Cabinetsfrage.

Sie erfolgte, und mit ihr zugleich im Wege der Verordnung die Beschlagnahme des königlichen Vermögens.

Es mag selten vorgekommen sein, daß eine Regierung an einem und demselben Tage zwei mit einender so wenig zu vereinigende Actenstücke verkündet hat, wie am 3. März 1868 die preußische. In einer und derselben Nummer des „Staatsanzeigers“ lesen wir das mit dem Landtage vereinbarte „Gesetz, betr. die Bestreitung der Summen für die Ausführung des Vermögensvertrages mit dem Könige Georg V.“ und dann die „Verordnung, betr. die Beschlagnahme des Vermögens des Königs Königs Georg V.“ Immerhin bleibt dabei die Möglichkeit offen, daß dies eigenthümliche Zusammentreffen lediglich ein Zufall ist.

Das Auffallende indessen trat um so mehr hervor für den, der da wußte oder sich erinnerte, daß die schwerste Bedingung des Vertrages von Seiten des Königs Georg bereits erfüllt war. Der Vermögensvertrag vom 29. September 1867 stellte nämlich dem Könige Georg die Bedingung der Auslieferung derjenigen Werthpapiere, die am Tage der preußischen Kriegserklärung, dem 15. Juni 1866, von Hannover nach London geflüchtet waren. Diese Werthpapiere, zum Vertrage von etwa achtzehn Millionen Thaler, sind, dem Vertrage gemäß, im Laufe des Monats November 1867 nach Hannover zurückgeschafft, und dort durch die Bevollmächtigten des Königs Georg V. an Preußen ausgeliefert. Es hatte mithin nun die preußische Gegenleistung zu beginnen.

Die Verordnung des Königs Wilhelm 1. vom 2. März hat diese Gegenleistung einstweilen abgeschnitten. Es ist von den seit langer Zeit her aufgelaufenen Zinsen dem Könige Georg V. auch nicht ein Thaler ausgezahlt. Und nicht bloß dies, sondern die Verordnung des Königs Wilhelm erklärt auch die inzwischen vorgefallenen vermögensrechtlichen Acte des Königs Georg für ungültig. 

Mit anderen Worten: die Verordnung gibt sich selber rückwirkende Kraft. 

Der König Wilhelm und sein Staatsministerium haben gefühlt und erkannt, daß ein solcher Act manches Befremden erregen werde und darum vor der Oeffentlichkeit einer Motivirung bedürfte. Sie haben dieselbe, in der Form eines Berichtes des Staatsministeriums an den König Wilhelm, zugleich mit der Verordnung publicirt. Indessen nur für ferner Stehende war der Bericht etwas Neues. Derselbe stimmte nämlich in allen wesentlichen Theilen wörtlich überein (vergl. Sten.-Ber. S. 1927) mit der Antwort, welche am 26. Febr. der Finanzminister v. d. Heydt auf die Interpellation des Herrn v. Kardorf gegeben hatte, und zwar gegeben hatte sogleich und unmittelbar nach der gestellten Frage. Es ist demnach anzunehmen, daß ebenso wie das preußische Staatsministerium auf die Kardorf’sche Interpellation in der Form selbst, wie sie gestellt wurde, rechtzeitig vorbereitet war, es ebenso auch die Berathungen, welche zur Feststellung des Berichtes vom 2. März führten, bereits vor dem 26. Februar vollendet hatte.
Diese Daten zu eruiren, ist deßhalb nicht unwichtig, weil nicht klar erhellt, warum das preußische Staatsministerium, das doch bereits vor dem 26. Februar seinen Bericht an den König in dieser Sache endgültig festgestellt hatte, nicht lieber einen Act von so enormer Tragweite dem Landtage zur Discussion hat vor legen wollen, als nach der Vertagung des Landtages seine Zuflucht nehmen zu dem Wege der Verordnung, vermöge eines wahren oder vermeintlichen Staats-Nothrechtes. Das preußische Staatsministerium motivirt in seinem Berichte den Act selbst mit der Gefahr. Aber angenommen, diese Gefahr hätte bestanden, so wurde sie durch den Verzug bis nach der Vertagung des Landtages nur noch gesteigert.

Das Räthsel dieses Vorganges wird durch den Bericht des Staatsministeriums vom 2. März nicht gelöst, sondern umgangen. Am Schlusse nämlich sagt der Bericht, daß „die Umstände nicht erlaubt haben, dem Landtage eine entsprechende Vorlage noch in dieser Session zu machen.“ Aber der Bericht war ja, wir wiederholen es, fertig vor dem 26. Februar!

Man kann, nach all diesen, nicht umhin, anzunehmen, daß das preußische Staatsministerium eine Discussion der Motive für und wider, insbesondere eine eingehende Prüfung der Anklagen, die es gegen König Georg erhebt, vor dem versammelten Landtage lieber nicht gesehen hat.

Mag jedoch diese Annahme richtig sein oder nicht: die Motivirung eines solchen Aktes, durch welchen der eine Contrahent sich dem anderen Contrahenten gegenüber von der vertragsmäßig übernommenen Pflicht öffentlich vor aller Welt entbindet, fordert eine möglichst eingehende Prüfung.

Wir werden demnach Satz für Satz des Berichtes v. 2. März zu erörtern haben.

Der erste derselben lautet:

„Als das Staatsministerium die Genehmigung Ew. Kgl. Majestät für das am 29. September vorigen Jahres mit dem Könige Georg V. getroffene Abkommen ehrfurchtsvoll nachsuchte, war es sich wohl bewußt, daß dadurch eine definitive Anerkennung des Prager Friedens und des durch die Ereignisse in Deutschland geschaffenen Zustandes Seiten des Königs Georg nicht erlangt war.“

Dieser erste Satz enthält nicht positiv eine Unrichtigkeit, und doch ist er geeignet, Irrthümer vorzubereiten. Heben wir demnach zuerst die richtige Thatsache hervor.

Der Vertrag vom 29. September 1867 betrifft nach Ueberschrift und Inhalt des Vermögens des Königs Georg V. von Hannover, nichts anderes.
Die einzige Erwähnung des politischen Verhältnisses findet sich in einem Nebensatze des §. 1, in den Worten: „bis daß der König Georg V. auf die hannöver’sche Königskrone für sich und seine Erben ausdrücklich verzichtet.“ Es wird hier mithin von beiden Unterzeichnern, von den Königen Georg und Wilhelm, konstatirt, daß der König Georg durch den Vertrag vom 29. September 1867 auf die Krone nicht verzichtet hat. Dies ist indessen nur nebenbei erwähnt. Der Vertrag in seiner Gesammtheit handelt nur von Vermögen und Vermögensrechten, ohne irgend welche politische Bedingung. Demnach würde das preußische Staatsministerium seinen Bericht vom 2. März richtiger begonnen haben mit den Worten: der Vertrag vom 29. September 1867 ist ein Vermögensvertrag, der nicht bedingt wird durch irgend welche andere Verhältnisse, die außer ihm stehen, und darum, weil er durch seine Entwicklungsgeschichte und durch seinen Inhalt die politische Seite ausdrücklich ausschließt, am wenigsten von nachträglichen politischen Erwägungen eines contrahirenden Theiles abhängig gemacht werden kann.

Ein solcher Beginn des Berichtes vom 2. März würde durchaus den Thatsachen entsprochen haben.

Dennoch enthält, wie bemerkt, dieser erste Satz des Berichtes nicht positiv eine Unrichtigkeit. Denn auch ohne daß er es ausdrücklich sagt, läßt er indirekt doch erkennen, daß der Vertrag vom 29. September 1867 eine politische Seite nicht hatte, daß mithin die Dinge politisch in demselben Stande blieben, wie zuvor. Dieser Stand war nicht derjenige des Friedens. Der Friede war unmöglich geworden dadurch, daß der König Wilhelm am 28. Juli 1866 zu Nicolsburg sich weigerte, den eigenhädigen Brief des Königs Georg mit dem Friedenserbieten desselben anzunehmen, mithin die dargebotene Friedenshand zurückstieß.

Insofern also, daß das preußische Staatsministerium hier den politischen Nicht-Friedens-Stand konstatirt, entsprechen seine Worte dem Sachverhalte. Aber es nennt dabei den Prager Frieden, und bringt durch diese Nennung ein Moment herein, welches unvermeidlich die Quelle von Irrthümern werden muß. Legen wir mithin auch hier den Thatbestand dar.

Der Vorfall in Nicolsburg ist der entscheidende politische Akt, der zwischen den beiden Königen, Georg und Wilhelm, stattgefunden hat. Der Prager Friede dagegen ward abgeschlossen zwischen Oesterreich und Preußen. Oesterreich erklärte, daß es sich den Territorial-Veränderungen, die Preußen in Norddeutschland vornehmen würde, nicht widersetzen wolle. Diese Erklärung war eine Sache Oesterreichs, nicht eines Anderen. Oesterreich vergab dadurch nicht das Recht eines Dritten, wie es das ja auch nicht konnte: es erklärte lediglich, daß es sich außer Stande sähe, dieses Recht noch ferner zu schützen. Der König Georg dagegen für sich war bei dem Prager Frieden in keiner Weise betheiligt. Mithin existirt dieser Prage Friede, als eine res inter alios acta, nicht für den König Georg. Das Einbringen dieses Prager Friedens und der Frage einer Anerkennung desselben in eine Rechts-Deduction über den König von Hannover, ist demnach nicht berechtigt. Das Ergebniß in Betreff des ersten Satzes des Berichtes vom 2. März ist, daß derselbe nicht frei ist von Beimischungen, die den wahren Sachverhalt verdunkeln können, daß jedoch dieser Sachverhalt in seinem Wesen noch wohl erkennbar ist in der Position: der Vertrag vom 29. September 1867 enthielt nicht eine Anerkennung des faktischen politischen Zustandes. Dessen war sich das preußische Staatsministerium, wie es selber sich ausspricht, bei seinem Nachsuchen um die Unterschrift des Königs Wilhelm zu diesem Vertrage, wohl bewußt.

Wir kommen zu dem zweiten Satze des Berichtes vom 2. März:

„Dessen ungeachtet durfte es die allerhöchste Genehmigung befürworten, weil es in der Natur des Vertrags-Verhältnisses lag, die Fortsetzung von Feindseligkeiten des einen paciscirenden Theils gegen den anderen auszuschließen.“

Das Verhältniß dieses zweiten Satzes zu dem ersten ist sehr auffallend. Es beginnt mit diesem zweiten Satze eine Gedankenreihe, die folgerecht mit dem vollendeten Widerspruche gegen den ersten Satz enden muß. Der erste Satz sagt: der Vermögensvertrag war unabhängig von politischen Bedingungen. Der zweite Satz sagt: es lag in der Natur der Sache, daß er davon abhängig sein mußte.

Sehen wir uns mithin die einzelnen Theile des Satzes 2 genauer an, und untersuchen wir, was den Augen des preußischen Staatsministeriums den ungeheueren Sprung, den es fast innerhalb des Zeitraumes eines Athemzuges ausführt, so völlig verdeckt haben mag.

„Es lag in der Natur des Vertragsverhältnisses,“ sagt der Bericht, „die Fortsetzung von Feindseligkeiten des einen paciscirenden Theiles gegen den anderen auszuschließen.“

Diese Ansicht würde richtig sein, wenn das Vertragsverhältniss hier ein allgemeines wäre. Dies ist aber bekanntlich nicht der Fall. Das Vertragsverhältniss, um das es sich hier handelt, betrifft ein ganz bestimmtes, scharf begrenztes Object, nämlich das Vermögen des Königs Georg, oder richtiger, wie das Staatsministerium in seinem Berichte später selber es ausspricht: das fürstliche Fideicommiß des Gesammthauses Braunschweig, dessen zeitheriger Nutznießer der König Georg V. ist. Nur von diesem bestimmten und scharf begrenzten Objecte handelt der Vertrag vom 29. September 1867, und schließt mithin alle anderen Verhältnisse, die darunter nicht begriffen werden, stillschweigend aus.ganz bestimmtes

Dies zu vergessen, würde dem preußischen Staatsministerium minder leicht geworden sein, wenn es sich nicht gewöhnt hätte, den Vertrag lediglich nach dem Datum zu benennen, anstatt, wie es doch einfacher und leichter ist, nach der beiderseitig vereinbarten Überschrift und nach dem Inhalte. Die öftere Wiederkehr des Wortes: Vermögensvertrag würde ein nicht geringes Schutzmittel gegen den großen Irrthum gewesen sein, als folge aus dem einen Vertrage über das eine ganz bestimmte Object ein ganz allgemeines Vertragsverhältniß von völlig unberechenbarer Tragweite, wesentlich aber des einen Charakters, daß der Contrahent handele, der andere leide.

In Wahrheit ist es diese Verwechslung des Allgemeinen mit dem Besonderen, hinter welche hauptsächlich sich der ungeheure logische Sprung des preußischen Staatsministeriums verbirgt.

Eine Nachhilfe erhält dann diese wichtige Verwechslung der Begriffe noch durch das Wort: Pacisciren, welches hier augenscheinlich in demselben Sinne verwendet wird, als handle es sich um einen generellen Friedensstand der contrahirenden Theile. Dies entspricht jedoch nicht dem Wortsinne. Pacisciren heißt keineswegs einen Frieden überhaupt machen, sondern einen Vertrag machen. Es kann paciscirt werden über ein besonderes Object, während zwischen denselben Contrahenten viele andere Objecte noch streitig sind und bleiben.

Aber das preußische Staatsministerium glaubt durch diese Verwechselung der Begriffe den Boden für sich gewonnen, und bringt daher mit überraschender Schnelligkeit in demselben Satze „die Fortsetzung der Feindseligkeiten“ des Königs Georg mit ein. Es versucht später den Beweis dieser Feindseligkeiten zu führen, und wir werden dort zu prüfen haben, ob derselbe erbracht sei. allein angenommen auch, er wäre erbracht, was er – wir sagen es schon hier im Bezug auf unsere spätere Prüfung – nicht ist: so würde selbst dieser Beweis keine Handhabe darbieten für die Nicht-Erfüllung eines Vertrages, der, ohne alle Bedingung und Voraussetzung politischer Art, lediglich das fürstliche Fideicommiß des Gesammthauses Braunschweig zum Objecte hat.

Vergegenwärtigen wir uns kurz noch einmal das Verhältniß des zweiten Satzes zu dem ersten. In dem ersten sagt das Staatsministerium: es sei sich beim Nachsuchen der Genehmigung des Vertrages bei dem Könige Wilhelm wohl bewußt gewesen, daß der Vermögensvertrag dem Könige Georg die Bedingung einer politischen Anerkennung des thatsächlichen Zustandes nicht auferlegt habe. In den zweiten Satze schiebt dasselbe Staatsministerium statt des speciellen und genau bestimmten Vertrages über das Vermögen ein unbestimmtes und allgemeines Vertragsverhältniß ein. Dem Nein des ersten Satzes steht vermöge einer raschen Begriffsverwechslung, in dem zweiten satze der Beginn eines Ja gegenüber. Die Umrisse desselben sind noch unbestimmt. Die folgenden Sätze dienen dazu, sie schärfer hervortreten zu lassen. Wir kommen zu dem dritten.

„Ohne die Voraussetzungen eines durch die Verhandlung von selbst faktisch eintretenden Friedensstandes konnten die von Ew. Kgl. Majestät in so großmüthiger Weise gebotenen Leistungen weder gewährt, noch angenommen werden.“

Je schärfer die Umrisse des neuen Bodens werden, den das preußische Staatsministerium sich durch die Begriffsverwechslung des Besonderen mit dem Allgemeinen erworben zu haben glaubt, desto mehr treten dieselben in Widerspruch mit dem wirklichen Sachverhalte. Mit den Worten: „des faktisch eintretenden Friedensstandes“ will, dem Zusammenhange der Dinge gemäß, das preußische Staatsministerium hier bezeichnen eine faktische Anerkennung, von Seiten des Königs Georg, der Annexion des Königreiches Hannover.

Allein nicht bloß ist eine solche Anerkennung nicht vorausgesetzt, weder von der einen Seite, noch von der anderen, sondern sie ist von der einen Seite ausdrücklich gefordert, von der anderen ausdrücklich verneint. Es kommt hier nämlich auch die Entwicklungsgeschichte des Vertrages mit in Betracht. Denn es ist ja ein bekannter Rechtsgrundsatz, daß, wo über die Voraussetzungen, unter denen ein Vertrag geschlossen ist, Zweifel entstehen, zunächst die Verhandlungen ins Gewicht fallen, welche dem Abschlusse vorangegangen sind. Es ist daher sehr zu verwundern, daß, von Seiten des preußischen Staatsministeriums, dem Landtage über diese Vorverhandlungen keine Mittheilung irgend welcher Art gemacht ist. Um so mehr ist dies zu verwundern, da diese Verhandlungen auf die Frage, ob eine Voraussetzung oder Bedingung von solcher Art zur Sprache gekommen ist, eine sehr bestimmte Antwort geben. Suchen wir dieselbe kurz zu fassen.

Die Initiative zu den Verhandlungen über den Vermögensvertrag ging aus von der englischen Regierung, und zwar von der Basis aus, daß, weil sie bei der politischen Seite der Sache sich nicht betheiligt habe, sie am ersten berufen sei, die Vermittlung in dieser finanziellen Angelegenheit zu übernehmen. Diese Basis ward acceptirt, und durch wiederholte Erklärungen des Königs von Hannover, daß er nur über die vermögensrechtliche Seite der Sache, nicht über politische Anerkennung unterhandeln werde, mehrfach bestätigt. Dessenungeachtet brachte dann die preußische Regierung einen Vorschlag ein, dessen erster Paragraph den Verzicht des Königs Georg V. auf die Krone Hannover forderte. Der König Georg wies, mit Berufung auf die früher festgestellte Basis, diese Forderung zurück, und demgemäß ließ der König Wilhelm sie fallen.

Angenommen mithin, daß vorher noch ein Zweifel über diese Basis der Nicht-Anerkennung möglich gewesen wäre, so war er, nach diesen drei Schritten: des Erhebens der Forderung, des Zurückweisens derselben, endlich des Fallenlassens von preußischer Seite, nicht mehr möglich.

Es fällt mithin die in Satz 3 des Berichtes vom 2. März gemachte „Voraussetzung“ nicht bloß als unwirklich, sondern auch als unmöglich hinweg.

Sie steht aber endlich auch im Widerspruche mit dem Wortlaute des Vertrages vom 29. September selbst, nämlich mit jener schon oben berührten Stelle in §. 1: „bis der König Georg V. auf die hannöversche Königskrone für sich und seine Erben ausdrücklich verzichtet.“ Denn, wenn der König auf eine Krone, die ein anderer faktisch in Händen hat, nicht ausdrücklich verzichtet: so ist eine Anerkennung, ein auf dieselbe gegründeter Friedensstand nicht vorhanden.

Die „Voraussetzung“ also des preußischen Staatsministeriums steht in Widerspruch mit den Thatsachen. Daß ohne dieselbe „die Leistungen weder gewährt, noch angenommen werden durften,“ ist jedenfalls nur ein schmückender Zusatz, da sie bekanntlich, in Folge des Berichtes, weder gewährt, noch empfangen sind.

Und nicht minder ist ein schmückender Zusatz: daß die Leistungen „in so großmüthiger Weise geboten sind.“

Wir wollen hier absehen von der Besprechung der Annexion eines Königreiches. Es handelt sich hier nicht um ein Object, welches einem wahren oder vermeintlichen Eroberungsrechte unterliegen kann, sondern um das, wie das preußische Staatsministerium mit Recht es nennt, fürstliche Familien-Fideicommiß des Gesammthauses Braunschweig, dessen Nutznießer der König Georg ist. Dieses war oder vielmehr ist in den Händen des Königs Wilhelm.

Für die Herausgabe aber eines fremden Eigenthumes, wenn sie erfolgt, dürfte die Verwendung des Wortes Großmuth, nicht eine gerechtfertigte sein. Und noch weniger dürfte sie es sein in Bezug auf die Höhe des Aequivalentes, das dafür gegeben werden sollte. Der preußische Finanzminister v. d. Heydt hat sich (vgl. Sten.-Ber. S. 1313) am 1. Februar dahin ausgesprochen: es unterliege keinem Zweifel, daß der Ertrag der Domainen höher sein werde, als die Baar-Entschädigungen, die dem Fürsten geworden sei. Eben dies ist die Ansicht der Sachkundigen in Hannover.
Die folgenden Sätze des Berichtes vom 2. März haben den Zweck, den neuen Boden, welchen das preußische Staatsministerium durch den logischen Sprung des zweiten Satzes gewonnen zu haben glaubt, noch mehr zu consolidiren und allgemein zu machen. Es folgt zunächst die generelle Behauptung in Satz 4:

„Eine andere Auffassung des Vertrages darf als unmöglich bezeichnet werden.“

Er ist, wie man sieht, lediglich eine Phrase, die steht und fällt mit dem Uebrigen. Legen wir sie dazu. Die Auffassung eines Schriftstückes wird in erster Linie bedingt und bestimmt durch das, was es sagt und enthält.

Mehr Inhalt dagegen hat oder scheint zu haben der fünfte Satz, welcher die generelle Behauptung des Satzes 4 im Einzelnen zur Anwendung bringt. Er lautet:

„In dieser Auffassung hat Deutschland und Europa den Abschluß des Vertrages als eine Bürgschaft der Ruhe und des Friedens begrüßt, hat der Landtag der Monarchie seine Zustimmung zu den Vorlagen ertheilt, durch welche der Ausführung des Vertrages und der Verwendung der dazu erforderlichen Geldmittel eine gesetzliche Grundlage gegeben werden sollte, haben Ew. Königliche Majestät das betreffende Gesetz sanctionirt.“

Auch der erste Theil dieses Satzes dürfte in seiner unbestimmten Allgemeinheit unbedenklich dem Gebiete der Phrase zu überweisen sein.

Bestimmter lautet der zweite Theil, daß „in dieser Auffassung der preußische Landtag seine Zustimmung gegeben habe.“

Allerdings hat bereits am 18. Februar (vgl. Stenogr.-Ber. S. 184) der Finanzminister v. d. Heydt im preußischen Herrenhause die Beschlagnahme des Vermögens des Königs Georg bestimmt in Aussicht gestellt, und dadurch, gemäß der darauf folgenden Erklärung des Herrn v. Brünneck, nicht wenig dazu beigetragen, den Gesetzesvorschlag zur einstimmigen Annahme zu bringen.

Da diese Thatsache vorliegt, da die Wirksamkeit der aussicht die der Finanzminister v. d. Heydt eröffnete, von jenem Mitgliede des Herrenhauses selbst in voller Versammlung konstatirt ist: so läßt sich mit Grund annehmen, daß dieselbe Aussicht im stillen noch viel wirksamer gewesen ist.

Die Consequenz dessen für das Verhalten einerseits des preußischen Staatsministeriums, welches, um den Gesetzentwurf zur Annahme zu bringen, diese Aussicht eröffnete, anderseits derjenigen Mitglieder des Landtages, die auf Grund dieser ihnen eröffneten Aussicht dem Gesetzesentwurfe zur Ausführung des Vertrages zugestimmt haben, bedarf nicht einer näheren Ausführung. Offener und gerader haben jedenfalls diejenigen Mitglieder gehandelt, welche dem betr. Gesetzentwurfe ihre Zustimmung versagten, und zwar deßhalb versagten, weil sie mit dem Herrn Schulze (Berlin) (vgl. Stenogr.-Berichte vom 1. Febr. S. 1298) der Meinung waren: der Vermögensvertrag enthalte bei weitem mehr einen Vorbehalt der Souveränetät, als einen Verzicht.

Es ist dabei nicht unwichtig, auch hier nochmals hervorzuheben, daß diese Abgeordneten die Geschichte der Entwicklung des Vertrages, die beiderseits acceptirte Basis, auf welcher er zu Stande gekommen, augenscheinlich nicht gekannt haben.

Allein, sei diese „Auffassung“ des preußischen Landtages, welche sie wolle, und sei sie ferner hervorgebracht durch welche Mittel und Aussichten sie wolle: die Hauptsache ist, daß „diese Auffassung“ des preußischen Landtages von einem geschlossenen Vertrage eine res domestica ist, die der König von Preußen mit seinem Landtage abzumachen hat, und die den König von Hannover in keiner Weise angeht. Nur zwischen den beiden Königen ist der Vertrag abgeschlossen worden, und die beiden Könige haben durch ihre Unterschrift sich verpflichtet, ihn zu halten. Sie haben dieß gethan, ohne Clausel, Voraussetzung und Bedingung. Wenn der preußische Landtag seine Zustimmung verweigert hätte: so hätte diese Nicht-Zustimmung den König von Preußen nicht der Pflicht entbunden, den Vertrag zu halten. Aber das Staatsministerium zieht auch die Person des Königs Wilhelm selber mit heran, in den letzten Worten des Satzes 5: „In dieser Auffassung haben Ew. königl. Majestät das betr. Gesetz sanctionirt.“

Es ist – ich wiederhole es auch hier – für den einen contrahirenden Theil völlig gleichgültig, in welcher „Auffassung“ des Vertrages der andere contrahirende Theil die Schritte thut, die diesem anderen zur Ausführung des Vertrages nöthig erscheinen. Der Contrahent, König Georg, darf und kann sich lediglich halten an den Wortlaut des Vertrages, den mit ihm der Contrahent, König Wilhelm, unterzeichnet hat.

Mithin ist die Erörterung der Frage, ob es möglich sei, daß der König Wilhelm die „Auffassung“ gehabt habe, die das preuß. Staatsministerium hier ihm beilegt, so viele interessante Momente die Erörterung auch bieten würde, doch sachlich bedeutungslos. Wir lassen mithin sie fallen.

Aber das preußische Staatsministerium bleibt selbst bei dem Könige Wilhelm nicht stehen. Die Consequenzen des ungeheueren logischen Sprunges, den es in Satz 2 gemacht, erreichen ihren Gipfel in dem letzten Satze, in welchem es sich bis zu dem Könige Georg selber versteigt.

Der Satz lautet:

„Der König Georg V. aber hat durch seine Unterschrift die nothwendigen Voraussetzungen und Bedingungen, sowie die ebenso nothwendigen Consequenzen des Vertrages vor ganz Europa anerkannt.“

Mit diesem Satze ist der Kreislauf vollendet. Der Bericht des Staatsministeriums hat denjenigen, der willig ihm gefolgt ist, stufenweise hingeführt vom vollendeten Nein bis zum vollendeten Ja. In dem ersten Satze des Berichtes war das preuß. Staatsministerium sich wohl bewußt, daß die Unterzeichnung des Vermögensvertrages durch den König Georg nicht eine Anerkennung des faktischen Bestandes der Dinge in sich schloß. In dem zweiten Satze dagegen beginnt, vermöge des logischen Sprunges, den dort das Staatsministerium gemacht, die Argumentation, kraft deren in diesem Schlußsatze der König Georg die „nothwendigen Bedingungen und Voraussetzungen und Consequenzen“ anerkannt haben soll – wir wiederholen es – dieselben Bedingungen und Voraussetzungen, die er nicht Einmal, sondern wiederholt und nachdrücklich, beim Beginne der Verhandlungen und während derselben, zurückgewiesen, dieselben Bedingungen und Voraussetzungen endlich, die während der Verhandlung die preußische Regierung allerdings erhoben, aber dann auf diese Zurückweisung derselben von Seiten des Königs Georg, wieder fallen gelassen hat.

Wir überlassen es dem Leser, für diese Rechtsdeduction des preußischen Staatsministeriums den rechten Namen aufzusuchen.

Wir finden unter derselben nicht den Namen des Justiz- Ministers Leonhardt, während doch dieser Name unter der königl. Verordnung vom selben Tage steht. Es ist gesagt worden, der Mann habe aus Rücksicht seinen Namen weggelassen, weil er als hannöverscher Justizminister am 15. Juni 1866 auf die damalige preußische Sommation mit dem gesammten Conseil dem Könige Georg V. von Hannover gerathen, nicht zu weichen, sondern im Vertrauen auf Gott und sein gutes Recht den Kampf zu wagen.

Wie weit derartige Rücksichten des damals hannöverschen, jetzt preußischen Justizministers sich erstrecken, vermögen wir nicht zu beurtheilen. Allein Herr Leonhardt ist allerseite anerkannt als ein wohlgeschulter Jurist. Darum scheint uns, wo das Factum seiner Nicht-Unterschrift vorliegt, es nicht allzu gewagt zu sein, dieses Factum mit dem anderen Factum seiner anerkannten juristischen Qualität in Verbindung zu bringen.

Nachdem das preußische Staatsministerium durch den Eingang seines Berichtes vom 2. März sich dahin gebracht hat, dem Könige Georg bei der Unterzeichnung des Vermögens-Vertrages vom 29. September 1867 Voraussetzungen und Bedingungen beizumessen, die der König Georg vor den Verhandlungen und während derselben stets mit aller Entschiedenheit zurückgewiesen hatte, bahnt es nun den Weg sich weiter durch die Erklärung, daß der König Georg diese Voraussetzungen und Bedingungen nicht erfüllt habe. Der folgende Satz nämlich lautet:

„Das Staatsministerium sieht sich heute genöthigt, die Thatsache zu constatiren, daß diese Voraussetzungen und Bedingungen von dem anderen pacisirenden Theile nicht erfüllt worden sind.“

Mit der Constatirung dieser Negative, nämlich daß der König Georg de Annexion eines Königreiches, welches er nach seiner Anschauung von Gottes und Rechts wegen als das seinige ansieht, nicht anerkannt hat und nicht anerkennen wird, wäre nun allerdings auch für den Standpunkt der Anschauung des preußischen Staatsministeriums noch wenig gewonnen. Es sieht sich genöthigt, weiter zu gehen zu positiven Anklagen, um auf Grund derselben eine Operationsbasis gegen den König Georg zu gewinnen.

Wir haben diese positiven Anklagen zu prüfen.

Der erste Satz lautet:

„Der König Georg hat auch nach dem vollständigen Abschluß des Vertrages und dem diesseits gemachten Anfange zur Ausführung desselben nicht unterlassen, die Feindseligkeiten fortzusetzen, aus Unterthanen Ew. Königlichen Majestät, welche durch seine Agenten angeworben und zum Theil zur Desertion verleitet worden sind, Truppenlörper zu bilden, welche unter der ausgesprochenen Absicht, sie bei nächster günstiger Gelegenheit zu feindlichen Handlungen gegen Preußen Behufs Losreißung einer Provinz des Staates zu verwenden, militärisch organisirt, mit Offizieren und Unteroffizieren versehen worden sind, und für den künftigen Dienst gegen das eigene Vaterland auf fremdem Boden militärisch eingübt werden.“

Diese Anklage dürfte auch in den eigenen Augen des preußischen Staatsministeriums doch wohl nicht als eine solche erscheinen, die mit richtiger Abmessung – wir wollen nicht sagen – der Wirklichkeit, sondern der Möglichkeit aufgestellt ist.
Wo denn könnten solche Truppenkörper sich bilden? –
Wo militärisch sich organisiren? – Wo militärisch sich einüben? – Oder stellen wir die Frage etwas anders, und zwar mit bestimmter Anwendung etwa so:

Wäre es möglich, daß irgend ein depossedirter Fürst, während der Zeit, wo Preußen im Frieden mit den Nachbarstaaten ist, auf dem Boden des preußischen Staates eine Legion „militärisch organisire“ u. s. w.   u. s. w., um mit derselben einen Nachbarstaat anzugreifen, ihm „eine Provinz zu entreißen,“ und was dergleichen Dinge mehr sind? – Wir glauben es nicht. Wir glauben vielmehr, daß die preußische Regierung auch nicht 24 Stunden ein solches Beginnen auf ihrem Boden dulden würde. Nun, so sei man aber auch billig und gerecht, und spreche es offen aus, daß überhaupt keine Regierung auf ihrem Boden irgend welche Organisation einer fremden Kriegstruppe dulden wird, noch dulden kann. Wenn dieselbe aber doch geschähe, so würde diejenige Regierung, die dardurch sich bedroht glaubt, sofort mit Recht gegen die andere Regierung, die auf ihrem Gebiete dergleichen Dinge geschehen läßt, eine schwere Anklage erheben und Rechenschaft fordern.

Es ist nun aber zur Zeit noch nicht bekannt, daß die preußische Regierung von der französichen, auf die allein ihre Vorwürfe sich beziehen könnten, eine Rechenschaft gefordert hat.

Da aber Preußen von Frankreich diese Rechenschaft nicht gefordert hat, so kann es auch keinen Grund dazu haben.

Wenn es aber keinen Grund hat zur Forderung dieser Rechenschaft von Frankreich: so hat es auch keinen Grund zur Anklage gegen den König Georg. Die eine Anklage ist untrennbar von der anderen.

Mithin fällt jene Anklage gegen den König Georg, hinweg, und zwar fällt sie durch ihre eigene Unmöglichkeit.

Suchen wir demnach festzustellen, was nach Ausscheidung der Behauptungen, die, als in sich unmöglich, einer weiteren Prüfung nicht bedürfen, als thatsächlicher Kern von diesem Theile des Berichtes vom 2. März übrig bleibt.

Es ist eine bekannte Thatsache, daß, seit der Annexion der Länder Schleswig-Holstein, Hannover, Kurhessen, Nassau und der Stadt Frankfurt, die Auswanderung von dort aus in einer bisher nicht erhörten Weise zugenommen hat. Die offiziellen statistischen Aufnahmen haben ergeben, daß der Bevölkerungsstand dieser Länder zu Ende des Jahres 1867 betrug 4,301,024 gegen 4,325,562 zu Ende des Jahres 1864, daß mithin nicht blos der natürliche Ueberschuß von diesen drei Jahren, sondern noch 25,000 Menschen dazu durch die Auswanderung jenen Ländern verloren gegangen sind.

Die Ursachen dieser Auswanderung werden dem preußischen Staatsministerium allzu genau bekannt sein, als daß es einer Erörterung derselben bedürfte.

Ganz besonders stark ist dieser Auswanderung von den jungen Leuten des militärpflichtigen Alters, nicht blos früherer Soldaten, sondern auch solcher, die noch nicht gedient haben. Sie haben nicht die Neigung, den preußischen Militärdienst kennen zu lernen. Mag man vom preußischen Standpunkte aus dieß loben oder tadeln: man muß es eben als eine Thatsache hinnehmen, daß es so ist. Diese jungen Leute sind gegangen nach England, nach Nordamerika, nach Holland, oder wo ihnen sonst eine Aussicht sich zu bieten schien. In London allein besteht ein Verein, der sich derjenige der „treuen Hannoveraner“ nennt, mit etwa 3–400 Mitgliedern. derselbe hat, am 27. Juni 1867, den Jahrestag des Sieges von Langensalza mit öffentlichem Aufzuge, mit Fahnen und Reden festlich begangen. Die englische Polizei hat die Feier der als ruhig und arbeitsam bekannten Leute nicht gestört.

Daß die preußische Regierung bei der englischen darüber eine Beschwerde erhoben habe, ist, da eine öffentliche Kunde darüber nicht verlautet, nicht wahrscheinlich.

Minder gut erging es Denjenigen, die eine Zuflucht suchten in dem kleineren Holland. Es scheint uns, daß wenn die preußische Regierung es hätte über sich gewinnen können, der hollänndischen Regierung gegenüber dasselbe Verfahren zu beobachten, wie der englischen und nordamerikanischen, man von den Flüchtlingen überhaupt nicht weiter gesprochen haben würde. Dieß geschah nicht. Die holländische Regierung gab dem Drucke der preußischen nach, und kündigte den Flüchtlingen das Asyl. Von da an beginnen die Jrrfahrten derselben. Wir kommen darauf zurück.

Aber eine Frage drängt sich hier in den Vordergrund, nämlich die, ob es auch nur möglich, ob es denkbar sei, daß der Hietzinger Hof zu diesen Auswanderungen, die ganz gewiß noch immer fortdauern, aufgefordert oder wohl gar „geworben“ habe.

Wer eine neue Welt sich baut im eigenen Gehirne, wer träumt von einer Legion, die der König von Hannover ausrüsten, organisiren und einexerciren lasse, der allerdings wird geneigt sein, die Frage zu bejahen und dabei die Realität der Dinge zu vergessen, vor Allem, daß die Welt bereits getheilt ist, daß jedes Land seinen Herrn hat, wenn auch nicht rechtlich, so doch faktisch, und ein solches Unternehmen nirgends möglich sein würde. Indessen sehen wir davon ab. Nicht um Phantastereien handelt es sich, die zu anderen Zwecken ersonnen und geglaubt werden, sondern um eine klare Anschauung der Realität.

Ein jegliches Handeln muß seinen Zweck haben. Zu welchem Zwecke aber sollte der König Georg die Hannoveraner zur Auswanderung auffordern, oder sie „anwerben“ ?

Nirgends in der Welt ist dem Ausgewanderten der Tisch gedeckt: er muß ihn sich erringen durch seine Arbeit, oder er muß sein Leben fristen durch die Unterstützung Anderer. Wer aber auffordert, setzt sich moralisch in die Lage, Unterstützung geben zu müssen, ohne dafür, wie nun einmal die Dinge in der Welt sind, einen Nutzen davon zu haben. Ist es denkbar und glaublich, daß der Hietzinger Hof so handeln werde?

Nun darf mit Recht nur das Gegentheil erwarten, nämlich die Abmahnung. Und wir wissen aus sicherer Quelle, daß dieß die Antwort ist, die man von Hietzing aus auf Anfragen solcher Art gegeben hat. Der preußischen Polizei in Hannover mag das unbekannt geblieben sein. Aber etwas anderes hätte ihrer Wachsamkeit nicht entgehen dürfen, nämlich, daß von Anfang an bis heute eine lange Reihe von Personen, die ausgewandert waren, auf Kosten des Hofes Hietzing in die Heimat zurückgekehrt sind, mit dem bestimmten Auftrage, daheim von der Auswanderung abzumahnen.

Es ist sehr merkwürdig, daß von diesen Thatsachen, die noch in Hannover so Manchem bekannt sind, in dem Berichte des preußischen Ministeriums vom 2. März sich auch nicht die leiseste Kunde entdecken läßt.

Dabei ist es unzweifelhaft, und hätte gewiß nicht erst der Nachforschung bedurft, daß der Hietzinger Hof vielen Ausgewanderten, die noch nicht im Stande waren, sich durch eigene Arbeit zu erhalten, Unterstützung gegeben hat.

Eine große Zahl derselben befand sich zuerst in Holland. Wir wiederholen, daß, wenn die preußische Regierung es über sich gewonnen hätte, ihnen dort ihr Asyl eben so zu gönnen, wie sie es denen in England und Nordamerika gönnen mußte: so würde man von dieser Flüchtlings-Angelegenheit nicht mehr geredet haben. Allein dieß Asyl wurde ihnen gekündigt.
Sie mußten fort. Sie begaben sich nach Schweiz.

Auch dort ließ man ihnen keine Ruhe. Man kündigte ihnen nicht direkt das Asyl. Es gab andere Mittel. Die Habgier einiger Schweizer Cantons-Regierungen kam der Pression der preußischen Regierung auf halbem Wege entgegen. Sie forderte von den rüstigen und kräftigen jungen Männern, die arbeiten konnten und wollten, außer den Legitimations-Papieren noch hohe Cautionen, die bis zu 1500 Franken für den Kopf betrugen. Die Forderung war in ihrer Wirkung gleich dem Kündigen des Asyls.

Wohin sollten nun die Gequälten sich wenden? Das Eine stand ihnen fest: in die Heimath, unter die preußische Herrschaft zurückkehren wollten sie nicht. Sie hatten also nur die Wahl zwischen dem Boden Oesterreichs oder Frankreichs. Aber auf dem Boden Oesterreichs weilte ihr König. Ein Uebergang dahin hätte möglicher Weise Anderen die Handhabe bieten können, für den König oder auch für die kaiserliche Regierung irgend welche Unannehmlichkeiten hervorzurufen. Auch das wollten sie nicht. Deshalb begaben sie sich auf den Boden von Frankreich. Die französische Regierung wies sie nicht zurück,
trug aber sofort Sorge sie zu zerstreuen.

Daß die Flüchtlinge bei diesem mannigfachen Wechsel genöthigt gewesen sind, Unterstützung anzunehmen, und sogar darum zu bitten, bedarf gewiß nicht einer, wie der Bericht vom 2. März sagt, „amtlichen Feststellung.“ Weit eher könnte es auffallen, daß das preußische Staatsministerium seinem Könige gegenüber generell von einer „amtlichen Feststellung“ in Ländern spricht, deren Telegraphen, Posten und Eisenbahnen doch nicht einer preußischen Jurisdiction unterliegen. Der Bericht nämlich gedenkt nur der Unterstützung, die von Seiten des Königs gekommen sind, um dadurch den Ausdruck: „Besoldung“ einzuführen. Aber er vergißt, zu erwähnen, daß auch viele Hannoveraner ihre Landsleute in der Fremde nicht hülflos gelassen haben und auch ferner sie nicht lassen, bis diese sich durch eigene Arbeit eine selbstständige Existenz zu begründen im Stande sind.

Wir wollen ein Analogon anführen. Angenommen, es fände sich, daß in den Jahren nach 1807 einige Deutsche westwärts der Elbe, die früher dem Könige von Preußen unterthan gewesen, sich nicht der französichen Herrschaft gefügt, sondern sogar lieber ihre Heimath verlassen hätten. Angenommen ferner, es fände sich, daß der König Friedrich Wilhelm III. diese Flüchtlinge mit Rath und Geld unterstütz hätte. Wir fragen: wie würde das preußische Staatsministerium dies Verfahren des Königs Friedrich Wilhelm III. benennen? Wir zweifeln nicht: es würde dieß Verfahren loben. Und wir bekennen ganz offen, daß wir in dieses Lob mit einstimmen würden.

Der Fall ist indessen mit demjenigen der Unterstützung der hannöverschen Flüchtlinge durch den König Georg nur analog, nicht gleich. Es findet ein sehr wichtiger Unterschied statt.

Der König Friedrich Wilhelm hatte im Frieden von Tilsit die Länder westwärts von der Elbe abgetreten, in Folge dessen die Einwohner dort ihres Eides und ihrer Pflicht gegen ihn entlassen. Völkerrechtlich durfte er nicht mehr ihrer sich anzunehmen.

Anders steht der König Georg zu den Hannoveranern. Ein Friedensschluß zwischen dem Könige Georg und dem Könige Wilhelm ist nicht erfolgt, weil der letztere das Friedensanbieten des ersteren zurückgewiesen hat. Der König Georg hat demnach das Band zwischen sich und seinen Unterthanen nicht gelöst.

Es bedarf nicht einer weiteren Ausführung. Das Recht des König Georg, nothleidende Hannoveraner zu unterstützen, scheint von keinem Standpunkte aus auch nur dem leisesten Zweifel zu unterliegen. Und dieses Recht hat er unzweifelhaft ausgeübt.

Dieß ist der Thatbestand.

Die gesammte darüber hinausgehende Anklage des preußischen Staatsministeriums fällt als vor dem Völkerrechte unmöglich. Wenn aber doch das preußische staatsministerium an die Wirklichkeit des Thatbestandes seiner Anklage glaubt: so hätte dasselbe – wiederholen es mit Nachdruck – seine Anklage in erster Linie nicht zu wenden gegen den König Georg, sondern gegen die kaiserliche Regierung der Franzosen.

An diese erste hauptsächliche Anklage des preußischen Staatsministeriums gegen den König Georg, deren Urgrund zu Tage liegt, knüpft sich unmittelbar die zweite. Sie lautet:

„Der König Georg selbst hat in öffentlichen, zur Notorietät gelangten Aeußerungen sich zu den feindlichen Bestrebungen gegen den preußischen Staat, welche von seiner Dienerschaft in’s Werk gesetzt sind, bekannt, zur Fortsetzung derselben aufgemuntert und die Treue von Unterthanen Ew. Königlichen Majestät zu erschüttern versucht.“

Diese Anklage bezieht sich, dem Inhalte gemäß, auf die Feier der silbernen Hochzeit des hannöverschen Königspaares am 18. Februar 1868. Stellen wir auch hier den Thatbestand fest.

Das eigentliche Fest, zu welchem tausende von Hannoveranern aus eigenem Antriebe, auf eigene Kosten und – es darf auch das nicht vergessen werden – auf ihre Gefahr aus der Heimath nach Wien gekommen waren, fand Statt im Cur-Salon zu Wien. Der König Georg hatte dieß Gebäude gemiethet; es war mithin für den Abend sein Haus. Er hatte dahin für den Abend diejenigen eingeladen, die er wollte. Er hatte mithin genau dasselbe gethan, was ein jeder Familienvater in gleicher Lage auch thut. Die Feier war ein Familienfest, nichts Anderes. Während desselben hat der König Georg in diesem geschlossenen Raume, vor den von ihm geladenen Gästen, seiner Hoffnung, seiner Ueberzeugung der Wiederkehr nach Hannover, der Herstellung seines Königreiches Ausdruck gegeben. Von irgend welcher Aufforderung zu feindlichen Bestrebungen gegen den preußischen Staat haben die Anwesenden kein Wort vernommen.

Das Aussprechen dieser Hoffnung, dieser persönlichen Ueberzeugung des Königs Georg enthält aber positiv genau dasselbe, was der erste Satz in diesem Berichte des preuß. Staatsministeriums an den König Wilhelm negativ ausspricht. Das preußische Staatsministerium ist dort sich wohl bewußt, daß der Abschluß des Vermögensvertrages vom 29. September 1867 von Seiten des Königs Georg nicht eine Anerkennung des jetzigen thatsächlichen Zustandes nach sich ziehe. Das heißt mit anderen Worten: das preußische Staatsministerium ist sich wohl bewußt, daß der König Georg seine Krone wieder zu erlangen hofft. Im Wesentlichen also stimmt, ungeachtet des verschiedenen Ausdrucks, über den Kern des Gedankens das preußische Staatsministerium mit dem Könige Georg völlig überein.

Aber woher denn diese Anklage? – Der preußische Gesandte in Wien war bei dem Feste nicht anwesend: mithin kann nicht ein Bericht von ihm Quelle sein. Ueberhaupt enthält sich das preußische Staatsministerium, in diesem Berichte, für seine Anklagen irgend welche Zeugnisse oder Gewährsmänner, überhaupt irgend etwas beizubringen, was auch von der anderen Seite anerkannt werden müßte. Es spricht von „öffentlichen“ Aeußerungen des Königs Georg. Wo sind dieselben? Wer constatirt sie? – Es sagt, daß dieselben zur „Notorietät“ gelangt sind? Wodurch sind sie das? Und worin besteht die Notorietät?

Wir können über alles dieß nur Vermuthungen anstellen. Eine nahe liegende Vermuthung führt dahin, daß diese Anklage erhoben sei auf Grund irgend welcher Zeitungsberichte.
Wenn dieß der Fall ist, so dürfte es geradezu beispiellos in der Geschichte dastehen, daß ein Staatsministerium seinem Könige gegenüber eine Anklage vorbringt auf Grund hin von Nachrichten, die jeglicher Bürgschaft, sogar der Bürgschaft des Namens irgend welcher unbekannter Journalisten ermangeln.

Und dennoch, sind dann diese beiden haltlosen Anklagen das Fundament, auf welches das preußische Staatsministerium dem Könige Wilhelm gegenüber seinen Rath erbaut, sich selber einseitig von der Haltung eines Vertrages zu entbinden, dessen Vortheile er durch die Auslieferung der Werthpapiere von der anderen Seite her bereits genossen, eines Vertrages, den wenige Tage vorher das preußische Staatsministerium, vermöge des Einsatzes der letzten Alternative, die überhaupt ein Staatsministerium stellen kann, im preußischen Landtage zur Annahme gebracht hatte! – 

Wir dürfen freilich dabei auch nicht vergessen, daß, nach den Worten des Herrn von Brünneck im Herrenhause am 18. Februar (S. 184 der Sten. Ber.), die Aussicht darauf, daß die preußische Regierung das Vermögen des Königs Georg mit Sequester belegen werde, bei ihm selber das Compelle zu dieser Annahme gewesen ist, und müssen danach es tieferer Untersuchung anheimstellen, in wie weit diese Aussicht der Beschlagnahme auch bei den anderen in Frage kommenden Personen für das Zustandekommen des Vertrages gewirkt haben mag.

Wie einfach, klar und rein ist, gegenüber einem solchen Berichte des preußischen Staatsministeriums und dem Schritte, dem dieser Bericht zur Unterlage dienen soll, die Stellung des Königs Georg V. von Hannover!

Er ist als Chef des Braunschweig-Lüneburgischen Gesammthauses eingetreten in die Verhandlungen, welche die englische Regierung zum Zwecke der Sicherstellung des Familien-Fideicommisses vorschlug.

Aber er hat von Anfang an dieses sein Eintreten scharf und klar präcisirt. Er hat jede Möglichkeit der Anknüpfung von Voraussetzungen und Bedingungen in der Art, wie der Bericht vom 2. März sie aufstellt, in bündiger Weise abgeschnitten.

Das preußische Staatsministerium hat sich die Sache anders gedacht. Es war ihm, wie der Graf Bismarck am 1. Februar im Hause der Abgeordneten ausführte (man vgl. Stenogr. Berichte S. 1801 u. f.), zu thun um die Unterschrift des Königs Georg. Für diese Unterschrift hätte der Graf Bismarck – er versichert es dort bei seinem Worte – noch zehn Millionen mehr bewilligt. Nachdrücklich hebt er dann hervor, daß man ihm aus der Gesammtheit seiner Politik nicht einzelne Theile herausgreifen möge, um zu sagen, daß er dieses richtig, jenes falsch gemacht.

Wir halten diese Forderung des Herrn v. Bismarck für berechtigt. Wir glauben durchaus an den Zusammenhang der einzelnen Theile seiner Politik, speziell auch, wie er es verlangt, in derjenigen über den Vermögensvertrag, in der Forderung der Annahme desselben vor dem Landtage nebst dem gleichzeitigen In-Aussicht-Stellen des Sequesters, und würden in dem Außer-Acht-lassen der einzelnen Theile, in dem Nicht-auf-einander-beziehen derselben eine Unbilligkeit in der Beurtheilung der Politik des Grafen Bismarck finden.

Die folgenden Sätze des Berichtes des preußischen Staatsministerii vom 2. März bedürfen nicht einer weiteren Klarstellung. Sie enthalten das Urtheil, welches die preußische Regierung in eigener Sache findet, gestützt auf die Anklagen, welche sie in eigener Sache erhoben hatte. Mit den Anklagen steht und fällt, auch vor den Augen des preußischen Staatsministeriums, das Urtheil. Legen wir es dazu. –

Die andere Angelegenheit, die mit der Annexion des Königreiches Hannover in enger Verbindung steht, ist diejenige der Austreibung der Königin Marie von Hannover aus ihrem Privateigenthume, dem Schlosse Marienburg, und die sogenannte Welfenverschwörung.

Nach der Annexion von Hannover werweilte bekanntlich noch die Königin Marie von Hannover in ihrem Privateigenthume, dem Schlosse Marienburg, auf dem Boden des Königreiches. Europa verehrte den edlen Duldermuth der erhabenen Frau. Ihre Anwesenheit war dem unglücklichen Volke ein Trost, eben darum aber dem Grafen Bismarck und dem Könige Wilhelm ein Dorn. Sie waren eingedenk, daß die Mahnung des Königs Friedrich II. an seinen Minister Podewills (man vergleiche diese Worte oben Seite 54) nicht lautet: s’il faut duper, soyons chevaliers. Allein es bedarf alles im menschlichen Leben einer gewissen Form.

Im Mai 1867 ergriff die preußische Polizei in Frankfurt a/M. einen Boten, der Briefe vom Hofe von Hietzing aus nach Hannover bei sich führte. Die Briefe waren, wie sich bald herausgestellt, in politischer Hinsicht von so geringer Bedeutung, daß man sie sämmtlich der preußischen Post hätte anvertrauen dürfen.

Allein man hatte Briefe. In den nächsten Tagen trug der Telegraph durch die Länder Europa’s die Nachricht der Entdeckung einer ungeheueren Verschwörung in Hannover. Die Organe der Polizei entwickelten eine rastlose Thätigkeit. Die Festung Minden füllte sich mit Hannoveranern. Die Blätter des Herrn von Bismarck brachten ungeheuerliche Leitartikel, um so geheimnißvoller und schreckenerregender, je weniger sie Positives mitzutheilen mußten. Aber soviel schien danach gewiß zu sein, daß der Bestand des Staates der Hohenzollern einer unmittelbar und furchtbar drohenden Gefahr entronnen war.

Die geeignete Stimmung war da. Von diesem Boden aus richtete der König Wilhelm an die Königin Marie von Hannover ein eigenhändiges Droh-Schreiben. Der Inhalt desselben stellte der hohen Frau die Alternative: entweder das Land zu verlassen, oder, vermittelt der Umgebung durch einen preußischen Hofstaat, in ihrem Eigenthume als preußische Gefangene behandelt zu werden.

Im Juni 1867 wich die Königin der durch die Organe des preußischen Königs mehrfach wiederholten Drohung. Sie begab sich zu ihrem Königlichen Gemahle nach Hietzing.

Der Apparat hatte seinen Dienst geleistet. Er konnte nun wieder aufgelöst werden. Die Verhafteten, denen man nicht gesagt, weshalb man sie verhaftet, wurden nach und nach wieder in Freiheit gesetzt. Die Bismarckschen Blätter schwiegen fortan von der welfischen Verschwörung.

Allein der Lärm war zu groß gewesen, als daß man die Sache so völlig verduften lassen konnte. Viele Monate lang konnte man sie hinhalten, damit sie möglichst in Vergessenheit träte. Aber zuletzt mußte doch, um der öffentlichen Meinung willen, die nicht völlig umsonst dupirt sein wollte, irgend ein Resultat sich ergeben.

Auch dieses ist gefunden. Man hat eine Anzahl königlich hannöverscher Offiziere vorgeladen, die sich nicht innerhalb der preußischen Machtsphäre befanden. Es war dabei anzunehmen, daß sie der Ladung nicht folgen würden. Denn sie haben keinen Act verübt, weder freiwillig noch gezwungen, welcher ihnen die Pflicht auferlegen könnte, sich als preußische Unterthanen zu betrachten, und sich der Ladung eines Berliner Gerichtes zu stellen. Das Gericht klagte sie des Hochverrathes gegen Preußen an, den sie als Offiziere des Königs von Hannover, welcher mit dem Könige von Preußen sich, nach der eigenen Erklärung desselben, im Kriegszustande befindet, nicht begehen können.

Demnach ist der Ausgang jener welfischen Verschwörung, mit welcher man im Mai des Jahres 1867 ganz Europa erfüllte, in kurzen Worten dieser: ein Berliner Gericht ladet sieben Männer vor, die keine Verpflichtungen fühlen sich dort zu stellen; es ladet sie vor wegen der Anklage eines Verbrechens, welches zu begehen nach ihrer Ueberzeugung ihnen unmöglich ist.

Der Erfolg, den diese Vorladung haben würde, war vorauszusehen, und ebenso, was dann das Berliner Kammergericht thun würde. Die sieben Herrn haben nicht sich gestellt, und das Berliner Kammergericht hat über jeden derselben die Strafe des zehnjährigen Zuchthauses ausgesprochen.

Immerhin ist es dennoch möglich, daß vorher jemand an die Existenz einer welfischen Verschwörung geglaubt hat. Die Mehrzahl der Unbetheiligten hat von Anfang an ihr Mißtrauen gegen das Gerücht bemessen nach dem Eifer der Auskündigung desselben.

Eine Neigung zum Verschwören liegt nicht im Charakter der Hannoveraner. Der Standpunkt dagegen, von dem aus sie die Dinge ansehen und demgemäß sie zur gegebenen Zeit und Stunde handeln werden, ist nicht schwer zu erkennen. Machen wir ihn uns klar an dem Gegensatze.

Der preußische Minister Graf Bismarck hat vor seinem Parlamente erklärt *): „derjenige preußische Minister, der die erste Gelegenheit, die sich zur Beseitigung eines solchen Hannover darbietet, versäumen würde, verräth sein Land, verräth Deutschland.“ Von diesem seinem preußischen Standpunkte aus wird der Herr von Bismarck auch den gerade entgegengestzten anerkennen. Derselbe bedarf nicht einer weiteren Präcisirung.

*) Stenogr. Berichte des Reichstages des Nordd. Bundes vom 11. März 1867. S. 114.

Die Existenz eines absoluten Militärstaates mit der unersättlichen Gier der Eroberung kraft des Prinzipes, daß Gewalt vor Recht gehe, ferner mit oder ohne das Marionettenspiel parlamentarischer Versammlungen, ist unverträglich mit der wahren menschlichen Freiheit, sei es des Individuums, sei es des corporativen Lebens, und insbesondere mit dem Geiste und der Geschichte des deutschen Volkes.



Wir lassen eine andere lange Kette von Irrthümern völlig bei Seite. Der erste Erfolg des ungeheueren Kriegsjammers, den Herr von Bismarck mit dem Könige Wilhelm über Deutschland gebracht, hat für das Unrecht entschieden. Aber der Erfolg des Thuns der Menschen verbürgt nicht das Wohlgefallen Gottes an demselben. Als der römische Kaiser Nero um des erhabenen Eindrucks willen die Stadt Rom anzündete und der Erfolg alle Erwartungen übertraf, bis sieben Zehntheile der Stadt in Trümmern und Asche lagen, hatte er, wie es scheint, nicht das Recht zu sagen, daß Gott sein Werk gesegnet habe.

Als Napoleon bei Jena die preußische Machtstellung mit einem Streiche in Scherben zerschlug, hatte er, unserer Ansicht nach, nicht das Recht zu sagen, daß darum sein Thun dem Willen Gottes entspreche.

Wir behaupten nicht, daß der Graf Bismarck an Irrthümern solcher Art kranke. Er scheint vielmehr völlig darüber erhaben zu sein. Aber es giebt einen Anderen, der nach allem und trotz allem, was er im Jahre 1866 gethan, den unbedingt von ihm abhängigen Geistlichen seiner Landeskirche befiehlt, allsonntäglich vor ihren Gemeinden ihn zu benennen und für ihn zu beten als „das christliche Vorbild.“ Diesen Anderen möchten wir erinnern an das Wort des Propheten Jesaias:

„Und ob Ihr auch viel betet, höre ich Euch doch nicht; denn Eure Hände sind voll Bluts!“




Fortsetzung des Textes: Anlage A




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