Romkerhall
Geschichte der Königlich- Hannoveranischen- Kammergut- Staatsdomäne Romkerhall

Zweiter Abschnitt
Die Politik der hannöverschen Regierung
bis zur Katastrophe im Juni 1866


Die Behauptung, daß die hannöversche Regierung etwa nicht das preußische Begehrungsvermögen zur Genüge gekannt habe, würde derselben unrecht thun. Die Erinnerung an die heimtückische Weise, brutal zugleich und feig *), mit welcher im Jahre 1806 die preußische Begehrlichkeit sich an Hannover vergriffen hatte, war weder im Fürstenhause noch im Volke untergegangen. Auch hernach ja hat es an Kundgebungen, welche die Erinnerung an diese Politik wachhielten, nie gefehlt. Man darf sagen, daß die hannöversche Regierung der Politik des Staates der Hohenzollern nie völlig getraut hat. Aber ferner waren auch Momente eingetreten, welche das durch die Natur der Dinge unabweislich gebotene Mißtrauen beschränkten, welche die Ueberzeugung gewähren zu müssen schienen, daß eine preußische Politik gegen Hannover nach der Art derjenigen von 1806 ihre entschiedene Schranke finden würde an der Persönlichkeit des Königs Wilhelm I. selbst.

*) Worte des Ministers Fox im englischen Parlamente 1806.

Denn dieser König Wilhelm I. von Preußen hatte sich persönlich vor seinen Mitfürsten gegen den Verdacht des Begehrungsvermögens im voraus in sehr entschiedener Weise verwahrt.

Er hatte dies gethan im Jahre 1860 in Baden-Baden, bei der Gelegenheit der Zusammenkunft vieler deutscher Souveraine mit dem Kaiser Napoleon III.  Damals sprach der König Wilhelm zu den anderen deutschen Souverainen, unter ihnen auch zu dem Könige von Hannover, am 18. Juni folgende Worte:

„Ob Deutschland in näherer oder ferner Zeit Gefahren drohen – ich spreche heute, als am Jahrestage eines denkwürdigen Sieges, in diesem erlauchten Kreise es gern noch einmal aus, was ich in meiner letzten Thronrede öffentlich erklärt habe, daß ich es nicht blos als die Aufgabe der deutschen, sondern als die erste Aufgabe der europäischen Politik von Preußen erachte, den Territorialbestand sowohl des Gesammtvaterlandes, als der einzelnen Landesherren zu schützen. In dieser Aufgabe werde ich mich durch nichts beirren lassen, auch durch den Umstand nicht, daß die innere Politik, die ich für Preußen als unerläßlich erkannt habe, sowie meine Auffassung mehrerer Fragen der inneren deutschen Politik von den Auffassungen einiger meiner hohen Bundesgenossen abweichen möge. Die Erfüllung jener nationalen Aufgabe, die Sorge für die Integrität und die Erhaltung von Deutschland wird bei mir immer obenan stehen.“

„Über die Loyalität meiner Bemühungen, die Kräfte des deutschen Volkes zu gedeihlicher Wirksamkeit zusammenzufassen, kann kein Zweifel bestehen. Sie haben niemals die Absicht, das völkerrechtliche Band, welches die deutschen Staaten umfaßt, zu erschüttern. Wiederholt habe ich erklärt, daß eine Reform des Bundes nur unter gewissenhafter Wahrung der Interessen Aller erstrebt werde, und die letzten Acte meiner Regierung werden keine Zweifel gelassen haben, daß ich den gegenwärtigen Augenblick für eine Reform dieser Art nicht für geeignet erachtet habe.“

Es ließe sich darauf erwiedern, daß das Aussprechen einer solchen Betheuerung, oder richtiger gesagt, Entschuldigung, bevor eine Anklage erhoben wird, zu mancherlei Bedenken hätte Anlaß geben können. Allein solchen Bedenken gegenüber bestand die Thatsache dieses gegebenen Königswortes. Jeder andere König und Fürst, der dasselbe vernahm, hielt und mußte halten auf dasselbe wie auf sein eigenes.

Wie auch immer irgend ein Minister des Staates der Hohenzollern die Politik desselben zu wenden suchte, ob auch der Herr von Bismarck seine staatsrechtliche Theorie verkündete, daß Gewalt über Recht gehe, daß die deutsche Einheit geschaffen werden müsse durch Blut und Eisen: allen solchen Reden stand das Königswort gegenüber wie ein Fels der drängenden Fluth.

Irren wir nicht, so ist der Glaube an dieses Königswort, das Beharren bei der Meinung, daß dieses Wort gesprochen worden sei, um gehalten zu werden, für das Königreich Hannover von folgenschwerer Bedeutung gewesen.

Hannover konnte seiner Geschichte gemäß niemals ein volles Vertrauen zu Preußen haben; aber das Gewicht jener schwer wiegenden Worte ließ auch das Mißtrauen niemals zu der vollen Entwicklung gelangen, die es sonst, den Thatsachen gemäß, aus dem Verhalten der preußischen Regierung seit 1862 hätte schöpfen müssen.

Wir erkennen als die durch das Recht und die Klugheit zugleich vorgezeichnete Richtschnur der hannöverschen Politik, zunächst diejenige der treuen Erfüllung ihrer Bundespflicht, und, so viel Hannover dazu vermochte, die Hinwirkung auf ein einträchtiges Zusammengehen der beiden Bundesmächte Oesterreich und Preußen. Wir lassen es dahin gestellt, ob es für Oesterreich die richtige Politik war, sich im Januar 1864 in der Angelegenheit der Herzogthümer mit Preußen zu verbinden.

Nachdem einmal diese Allianz bestand, erachtete Hannover es als seine Aufgabe, nach Kräften zur Erhaltung derselben beizutragen. Das freundliche Verhältniß zu Preußen ward für lange nicht gestört.

Das Buch, welches Herr Moritz Busch mit Benutzung der Actenstücke des auswärtigen Amtes von Berlin, also mit Vorwissen und Genehmigung des Grafen Bismarck abgefaßt hat, erkennt dieses an. Es heißt dort (S. 22): „Unter solchen Umständen herrschte zwischen den Cabinetten von Berlin und Hannover lange Zeit in dieser Angelegenheit – der Elbherzogthümer – ein ziemlich gutes Einvernehmen, welches auch durch die Affaire von Rgensburg (im August 1865) und die Verdrängung der sächsisch-hannöverschen Executions-Truppen aus Holstein, so sehr diese Machtäußerungen Preußens verdrossen, nicht sehr und nicht auf die Dauer beeinträchtigt wurde.“

Es ist von Wichtigkeit, diese Thatsache in solcher Weise nach den preußischen Acten officiös constatirt zu sehen, weil der König Wilhelm sich persönlich darüber anders ausgesprochen hat.

Dieser König selbst nämlich erwiederte (nach S. 61 desselben Buches) am 17. August 1866 der hannöverschen Deputation, daß Andere, und namentlich Oesterreich, bei den deutschen Staaten stete Besorgnisse vor Preußens Uebergriffen und Eroberungsgelüsten angeregt hätten. Dann führt er fort: „Diese Bestrebungen sind ohne Erfolg geblieben. Sie haben zu einer fast nur während der Regierung des Königs Ernst August innigeren Beziehungen Platz machenden unfreundlichen Stellung Hannovers zu Preußen geführt, welche während der Complicationen der letzten Jahre häufig in eine feindliche übergegangen ist, ohne daß dazu von preußischer Seite Veranlassung gegeben wäre.“

Aus der Vergleichung dieser Worte des Königs Wilhelm I. mit jenem actenmäßigen Berichte in demselben Buche des Herrn Busch ersieht man, wie merkwürdig ungenau der König Wilhelm unterrichtet gewesen sein muß, daß er solche Irrthümer vorbringt. Man könnte vielleicht noch meinen, daß die Zeit, an die hier der König Wilhelm I. denkt, eine andere sei, als die in jenem Actenauszuge (S. 22 des Buches von Busch) verstanden wird. Allein an beiden Orten ist eine übereinstimmende Zeitangabe hinzugefügt. Der König Wilhelm sagt (S. 62): „So standen die Sachen, als meine Stellung in Holstein – also nach dem Gasteiner Vertrage vom August 1865 – durch Oesterreich immer und immer wieder angegriffen und gestört wurde.“ Jener actenmäßige preußische Bericht über das freundliche Einvernehmen der hannöverschen mit der preußischen Regierung fügt dann noch hinzu: „Als der Graf Platen im Januar 1866 in Berlin verweilte“ – nämlich vom Grafen Bismarck mit Vorwissen des Königs Wilhelm dahin eingeladen – „fand er bei den Ministern und dem Könige sehr freundliche Aufnahme, und letzterer verlieh ihm sogar das Großkreuz des rothen Adlerordens“ u. s. w. Es ist demnach anzunehmen, daß eben so wie im übrigen die Anrede des Königs Wilhelm an die hannöversche Deputation vom 17. August 1866 nur durch eine sehr mangelhafte Information des Königs erklärbar ist, ebenso auch diese besondere Thatsache der Anwesenheit des Grafen Platen in Berlin, welche das freundliche Verhältniß von Hannover zu Preußen bis in das Jahr 1866 hinein in aller Welt documentierte, dem König ganz und völlig aus der Erinnerung geschwunden sein muß. In der That sind auch ja andere Irrthümer des hohen Herrn nur durch solche immerhin gewagte Annahmen einer Schwäche des Gedächtnisses oder einer außerordentlich mangelhaften Information zu erklären.

Wir müssen indessen in der Annahme solcher Irrthümer noch einen Schritt weiter gehen, Nicht bloß der König Wilhelm, sondern auch sogar der Minister Graf Bismarck hat sich denselben hingegeben.

Derselbe redete nämlich im Reichstage des norddeutschen Bundes am 11. März 1867 (Stenographische Berichte S. 144) in Betreff seiner Politik gegen Hannover wie folgt: „Wenn Sie sich mit unserem Feinden liiren, obschon Sie dieselben Interessen mit uns haben, wenn Sie zwischen Hamburg, Minden und Cöln einen Staat schaffen, von dem wir befürchten müssen, daß er jede Verlegenheit von Preußen nach außen benutzt, jede Front, die wir nach dem Süden machen, um uns, ich will nicht sagen, den Dolch, aber die Waffe in den Rücken zu rennen: ein solcher Staat kann nicht mit unserem Willen bestehen; seine Fort-Existenz wäre unverträglich mit derjenigen von Preußen, und derjenige preußische Minister, der die erste Gelegenheit, die sich zur Befestigung eines solchen Hannovers darbietet, versäumen würde, verräth sein Land, verräth Deutschland.“

Es folgt dann außer einigen anderen Irrthümern, auf die wir nachher zurückkommen werden, noch die Behauptung, daß Hannover seine Truppen mit denjenigen des Generals Gablenz habe verbinden wollen, um im Rücken der Preußen gemeinschaftlich mit Oesterreich eine Division zu machen.

Zunächst blieb der dramatische Effect, den der Herr v. Bismarck mit dem Dolche und den anderen Phrasen bezweckt hatte, in dieser Versammlung nicht aus. Die Redensart vom Dolche war nicht einmal neu: sie war in etwas abgeschwächter Weise einem Jacobiner des Conventes 1793 nachgeahmt. Aber sie war neu vor dieser Versammlung, und that darum, zumal aus solchem Munde, die erwünschte Wirkung. Der stenographische Bericht meldet ein stürmisches anhaltendes Bravo. Es wäre zu verwundern, wenn in dieser Versammlung das anders gewesen wäre.

Aber der Herr v. Bismarck, der selber am besten weiß, was je nach verschiedenen Umständen innerhalb eines Zeitraumes von drei oder vier Jahren die sittliche Entrüstung und der Beifallsjubel dieses seines Parlamentes zu bedeuten hat, wird selber wohl kaum die Ansicht haben, daß das Bravo dieser Gesellschaft vermöge, die Beweiskraft seiner Worte auch nur um ein weniges dann zu verstärken, wenn dieselben diese Kraft nicht in sich haben. Und dieses allerdings ist es, was wir verneinen müssen, und im Grunde mit uns wahrscheinlich auch der Graf Bismarck selbst. Denn die Thatsachen liegen anders, als er sie darstellt.

Der Herr von Bismarck nämlich sagt: „Man hat uns in amtlich mitgetheilten Noten einen Neutralitäts-Vertrag versprochen, während dessen aber fortgefahren, heimlich zu waffnen. Man ließ Munition und Waffen nach Stade schleppen, um dort eine feste Position zu nehmen, um dort mit dem Gablenzschen Corps, mit denjenigen Streitkräften, die das Haus Augustenburg in Holstein würde mobil machen können, eine Diversion gegen uns im Rücken gemeinschaftlich mit Oesterreich zu machen. Wir haben die Verhandlungen hinausgezogen in der Hoffnung, Hannover werde sich besinnen. Es hat uns widerstrebt, gegen diese befreundeten und benachbarten Stamm“ u. s. w.

Wir sind mit dem Herrn von Bismarck darin einverstanden, daß wenn Hannover so gehandelt hätte, wie er hier angibt, diese Diversion von nicht geringen Gewicht gewesen sein würde. Die Vereinigung der Streitkräfte, die der Herr von Bismarck hier angibt, würde leicht 40,000 Mann und mehr betragen haben. Diesen 40,000 Mann hätte Preußen mindestens eine gleich große Truppenmacht entgegen stellen müssen.
Wir sagen: mindestens, nicht etwa, um die preußischen Truppen geringer zu schätzen, sondern weil derjenige, der die Chance des Sieges für sich haben will, die Ueberzahl an Truppen für sich haben muß. Dies war bekanntlich der Grundsatz Napoleons, dessen Ueberlegenheit in der Stragtegie hauptsächlich darin bestand, zur gegebenen Zeit und am gegebenen Orte die Ueberzahl zu haben. Eben deshalb hatte ja Preußen den Verrath an Deutschland begangen, mit Italien ein Offensiv- Bündniß gegen Oesterreich zu schließen, gewiß nicht aus Werthschätzung der Italiener oder aus Sympathie für ihre Sache, sondern um den Oesterreichern durch dieses Mittel, bestehe es eben worin es wolle, eine Diversion im Rücken zu machen, und einen Theil ihrer Streitkräfte zu lähmen. Die Folge war, daß Oesterreich bei Köninggratz um mindestens 40 – 50,000 Mann schwächer war als Preußen. Wenn aber Hannover die Diversion im Norden hätte machen wollen, die Herr von Bismarck vor seinem Publikum am 11. März 1867 irrthümlicher Weise als möglich annimmt: so hätte die Abwehr von Seiten Preußens gegen diese Division gerade die Mannschaft erfordert, um welche die preußische Armee bei Königgratz der österreichischen überlegen war.

Der Irrthum des Herrn von Bismarck hat uns gezwungen auf diese Erörterung einzugehen. Seine Vertheidigung des preußischen Gewaltverfahrens gegen Hannover beruht auf der Annahme der Möglichkeit, daß Hannover diese Diversion habe machen wollen.

Nun liegen aber die Thatsachen so, daß die preußische Sommation, mit welcher das Gewaltverfahren gegen Hannover begann, am 15. Juni 1866 in Hannover überreicht wurde, nachdem am 14. Juni 1866 der letzte Mann der österreichischen Brigade Kalik den Boden des Königreiches Hannover verlassen hatte.
Man sieht, daß der dramatische Effect, den Herr Bismarck mit seinem Gleichnisse vom Dolche am 11. März 1867 erreicht hat, das einzig Wahre neben vielen Irrthümern ist. Ueber die Qualität dieser Irrthümer mit Herrn v. Bismarck zu rechten, überlassen wir den Mitgliedern der Versammlung, an welche der Redner dieselben zu adressiren wagen durfte.

Aber dies Verhältniß führt uns zurück auf das Ganze, nämlich auf die Frage: was wollte Hannover?

Der Grundsatz der Politik von Hannover liegt in den zahlreichen Mittheilungen, namentlich auch in denjenigen, die der Herr Moritz Busch aus den Actenstücken des auswärtigen Amtes von Berlin macht, klar und offen da. Es ist in erster Linie derjenige der Treue gegen den Bund, der Erfüllung der Bundespflicht. Für den eventuellen Fall der thatsächlichen Auflösung des Bundes verlangte es in dem Streite zwischen Oesterreich und Preußen für sich die Anerkennung der Neutralität.

Danach waren die Schritte der hannöverschen Regierung bemessen. Sie gestatte den preußischen Truppen den Durchzug, nicht bloß auf den bundesmäßigen Etappenstraßen. Sie gestattete ihn den österreichischen. Sie macht nicht mobil. Die Maßregeln der Verlegung der Uebungszeit vom Herbste in das Frühjahr, die Hinschaffung von Munition und Geschützen nach Stade waren interne Angelegenheiten, die für die Preußen auch jeden Schein eines bedrohlichen Charakters dann verloren, als der Durchzug der Brigade Kalik bewies, daß Hannover an eine feindselige Stellung gegen das übermächtige, rundum in Waffen starrende Preußen nicht denke. Und eben dies bestätigt der offizielle Bericht *) des preußischen Generalstabes. Zwar sagt derselbe: (S. 19): „Neben den preußischen Rüstungen hatten die in Oesterreich, Sachsen, Bayern, Würtemberg, Hannover ihren Fortgang.“

*) Der Feldzug von 1866 in Deutschland. Heft I.

Aber dieser Satz, der in der Vorgeschichte des Krieges steht, dürfte wohl eher seinen Ursprung aus dem Bureau des Herrn von Bismarck haben, als aus den Acten des Kriegsministeriums. Denn bei dem wirklichen Einbruche der Preußen in Hannover sagt die selbe Schrift (S. 50): „Weder in Hannover noch in Hessen-Kassel scheint man sich der Consequenzen, welche die fortgesetzte feindselige (??) Haltung gegen den Nachbarstaat nothwendig zur Folge haben mußte, genügend klar gemacht, vielmehr geglaubt zu haben, Preußen auch ferner noch mit diplomatischen Verhandlungen hinhalten zu können. Nur so erklärt es sich, daß die Kriegserklärung beide Länder in militärischer Beziehung völlig unvorbereitet fand.“ – Der Bericht führt dies dann noch weiter aus, und schließt seine Darlegung mit den Worten: „Für eine Mobilmachung war nichts geschehen, und namentlich hatten keine Pferdeankäufe statt gefunden.“

Man sieht, der Bericht des preußischen Generalstabes ist hier gezwungen, einen kleinen Krieg mit der Logik zu führen. Denn ein Staat, der völlig ungerüstet überrascht wird, kann folgerecht nicht eine fortgesetzt feindselige Haltung gehabt haben. Herr von Bismarck sucht logischer zu verfahren, indem er die Prämisse der hannöverschen Rüstung fingiert. Vor seinem Parlamente war immerhin die Fiction haltbar: der Bericht des preußischen Generalstabes hat ihm dieselbe für die Zukunft erbarmungslos abgeschnitten.

Die Gefahr der thatsächlichen Auflösung des Bundes war unzweifelhaft vorhanden. Aber es war doch immer nur erst eine Gefahr. Eine Regierung, die für sich selber das Princip der Vertragstreue oben an stellt, durfte, trotz der Worte des Ministers Bismarck, noch immer die Hoffnung hegen, daß der König Wilhelm es nicht dahin kommen lassen werde. Und in den Augenblicken solcher Erwägungen mußte das Königswort vom 18. Juni 1860 in lebhafter Erinnerung vor die Seele treten.

Für den Fall aber der thatsächlichen Sprengung des Bundes hatte Hannover von Preußen her nicht bloß die Zusage der Neutralität, sondern Preußen selber hatte sie angeboten. Durfte Hannover auf dieses Angebot eingehn? Die Frage ist damals im Königreiche Hannover viel erörtert. Wir wissen aus sicherer Quelle, daß sehr viele sie deshalb verneinten, weil der Bund geschlossen sei als unauflöslich, mithin ein thatsächliches Zurücktreten eines Mitgliedes des Bundes von seiner Bundespflicht darum die  verbindliche Kraft der Bundesbeschlüsse für die anderen Mitglieder nicht aufhebe. Dies war die Absicht, welche auch die früheren, im Jahre 1865 abgetretenen Minister festhielten. Die österreichische Regierung war offenbar derselben Ansicht. Denn sie protestierte am Bunde gegen derartige Sonderverträge, die den Zerfall des Bundes zur Voraussetzung hätten. Deshalb wurde nir das Princip der Neutralität zwischen Hannover und Preußen festgestellt, noch nicht die Modalitäten vereinbart. Darauf beziehen sich die Worte des Herrn v. Bismarck in seiner Rede vom 11. März, nämlich: „Wir haben die Verhandlungen hinausgezogen in der Hoffnung, Hannover werde sich besinnen.“

Es scheint, daß auch diese letzteren Worte des v. Bismarck einen Irrthum in sich schließen.

Die Hoffnung, daß Hannover sich zu Preußen stellen werde, konnte der Minister v. Bismarck deshalb nicht hegen, weil Hannover sich allzuoft positiv dahin ausgesprochen hatte, daß es mit dem Bunde gehen werde und für den thatsächlichen Aufhörens desselben die Neutralität beanspruche. Wohl aber konnnte der Minister v. Bismarck die Hoffnung hegen, daß Hannover in seinem Vertrauen auf die Loyalität der preußischen Regierung nicht rüsten und dann für den demnächstigen Fall preußicher Gewalt wehrlos sein werde.

Aber es hat ja dem Herrn v. Bismarck, wie er sagt (S. 144 der ften. Berichte) „widerstrebt, gegen diesen befreundeten und benachbarten Stamm, der mit uns denselben Dialect spricht, in dessen Adern unser Blut fließt“ – es ist sehr zu bezweifeln, daß die Hannoveraner in Rücksicht auf das Berlinertum dies anerkennen werden – den Degen zu ziehen.“
„Um dies zu vermeiden, fährt der Herr v. Bismarck fort, haben wir rechtzeitig – wenn ich nicht irre, war es am 9. oder 11. oder kutz darauf – in Hannover amtlich Folgendes kund gegeben:

„Stimmt Hannover für den österreichischen Antrag, der am 14. Juni in Frankfurt votirt worden, so werden wir dies als eine Kriegserklärung betrachten und danach verfahren.

So der Herr v. Bismarck. Angenommen, es sei dies alles so, wie er sagt: so wäre diese amtliche Warnung doch nur lediglich wieder die Bethätigung der Theorie des Faustrechtes, daß der stärkere Staat von dem schwächeren diejenige Kundgebung erzwingen dürfe, die er für nützlich hält für sich.

So würde es sein, wenn die obigen Worte des Herrn v. Bismarck sich als probehaltig erwiesen. Eben dies aber ist zu untersuchen.

Trotzdem nämlich, daß Herr v. Bismarck am 9. oder 11. Juni dies in Hannover amtlich erklärt haben will, amtlich gesagt haben will, daß er Hannover, wenn es nicht stimme, wie er befehle, mit Krieg überziehen werde – trotzdem läßt dann noch dieses selbe Hannover am 13. und 14. Juni die Brigade Kalik, die zu seiner Hülfe bereit war, ruhig dahinziehen? Dennoch gewährt in denselben Tagen dieses Hannover der preußischen Regierung auf die bundesfreundliche Anfrage ebenso bundes- freundlich die Erlaubniß, das Manteuffel’sche Corps von Holstein aus durch Hannover nach Minden ziehen zu lassen?

Ist es nach diesen Thatsachen möglich, daß Hannover gemäß der Warnung, wie Herr v. Bismarck sich ausdrückt, voraussehen müßte, was ihm bevorstand?

Immerhin mag der Herr v. Bismarck die amtliche preußische Kundgebung vom 9. oder 11. Juni, wie er sie zum Zwecke seiner Rechtfertigung vor seinem Parlamente am 11. März verkündet, nur aus seinem Gedächtnisse entnommen haben, immerhin mag ihm nach seiner Lebensanschauung, vermöge deren nach seinen eigenen Worten das Staats- Interesse von Preußen der Gesetze der Moral entbindet, auch ein solcher Irrthum als berechtigt erscheinen. Aber wenn wir ferner auch dem Minister Bismarck darin Recht geben, daß er in Betreff dessen, was er vor dieser Versammlung sagen wollte, gar keine Rücksicht irgend welcher Art zu nehmen hatte: so sollte doch, in Rücksicht auf die übrige Welt, die nicht mit in diesem Reichstage des Herrn v. Bismarck saß, jeder Irrthum solcher Art sein Correctiv finden an der gewöhnlichen menschlichen Klugheit.

Betrachten wir also die Sache.

Die Fassung der Anweisung, welche der Herr v. Bismarck im Sinne zu haben scheint, lautet, nach der Angabe des Herrn Moritz Busch (S. 35), wörtlich wie folgt: „Dem Mobilisierungs-Antrage vom 11. d. M. fehlt jede bundesrechtliche Grundlage. Durch seine Annahme lösen die Betheiligten das Bundesverhältniß, und treten als Bundeslose mit einem Acte der Feindseligkeit gegen Preußen auf. In dem ausbrechenden Kriege werden wir uns nur durch das Interesse Preußens und der zu ihm stehenden Staaten leiten lassen.“

Erörtern wir hier kurz den Charakter des Bundes.

Der Bund war geschlossen als unauflöslich.

Es bedarf nicht der Bezugnahme auf die Rede des preußischen Königs Wilhelm vom 18. Juni 1860, daß er niemals die Absicht haben werde, das völkerrechtliche Band, welches die Staaten der deutschen Nation umfasse, nämlich den Bund, zu erschüttern. Der König Wilhelm hatte dadurch nur persönlich die Verpflicht erneut, welche auch vorher bestand, eine Verpflichtung, welche nur zu lösen war durch Vertragsbruch.

Preußen hat, nachdem Oesterreich am 11. Juni 1866 den Antrag auf die Mobilmachung der deutschen Bundes-Corps außer den preußischen gestellt, allerdings vorher erklärt, daß es im Falle der Annahme dieses Antrages den Bund als gelöst ansehen würde, Wenn mithin der österreichische Antrag des Bundes angenommen wäre, so hätte Preußen durch die dann ausgesprochene Sprengung des Bundes wenigstens den Schein eines subjectiven Rechtes für sich gehabt.

Allein der österreichische Antrag ist nicht angenommen.

Es ist vielmehr der mittelstaatliche Verbesserungsantrag angenommen, welcher sich wesentlich und principiell von dem ursprünglichen Oesterreichs unterscheidet. Denn jener neue Antrag beschränkte, mit ausdrücklicher Verwerfung der Motivirung des österreichischen Antrages, den Beschluß auf die Mobilmachung der vier eigentlichen Bundesarmee-Corps (7, 8, 9, 10). Er verwarf den Antrag der Ernennung eines Oberbefehlshabers. Dies alles, indem er ausdrücklich die Hoffnung der Forterhaltung des Friedens nicht aufgab, dabei aber in den fortdauernden Rüstungen von Oesterreich und Preußen eine Verpflichtung der Bundesversammlung erkannte, ihrerseits Vorsichtsmaßregeln gegen etwaige Störungen des Bundesfriedens zu ergreifen. Das Ziel dieses Antrages war im Wesentlichen die Feststellung einer bewaffneten Neutralität. *)

*) Tagebuchblätter aus dem Jahre 1866. Erlebtes und Durchdachtes von einem Staatsmanne. S. 24. Darmstadt und Leipzig 1867.

Demnach ist die Hoffnung der Möglichkeit der Erhaltung des Friedens diejenige Basis, auf welcher dieser Bundesbeschluß vom 14. Juni 1866 ruht. In den Sitzungen der bayerischen Kammer vom 8. und 9. Juni hatte der Staatsminister v. d. Pfortdten erklärt: Bayern werde diejenige der beiden Großmächte bekämpfen, die zuerst zu den Waffen greife.

Die Erfahrung hat dann bewiesen, daß Herr v. Bismarck unter allen Umständen den Krieg wollte, daß demgemäß ein Beschluß, welcher zwei Monate zuvor eine wirksame Schranke dieses Wollens gewesen sein konnte, es im Juni nicht mehr war. Allein diese Erfahrung ist erst nachher gemacht. Sie lag am 14. Juni noch nicht vor. Es handelt sich aber für uns um die Lage der Thatsachen am 14. Juni, um die Constatirung des Factums, daß die Bundesmitglieder, welche am 14. Juni für den mittelstaatlichen Antrag stimmten, dadurch nicht feindselig gegen Preußen auftreten wollten, sondern den Frieden zu erhalten hofften.

Mithin fiel für die preußische Erklärung, daß dadurch der Bund gesprengt sei, auch jeder Schein eines subjectiven Grundes hinweg. Preußen nahm zum Grunde seines Bundesbruches einen freiwilligen Irrthum.

Es ist um so mehr von Wichtigkeit, diese Thatsache zu constatiren, weil viele Bücher unablässig wieder den preußischen Irrthum verkünden, daß der österreichische Antrag vom 11. Juni am 14. angenommen sei. Wir nennen beispielsweise dasjenige des Grafen G. Münster, und müssen hinzufügen, daß er bei dieser Gelegenheit das im Auftrage des Grafen Bismarck gegen die hannöversche Regierung geschriebene Buch des Herrn Busch an dienstfertigen Irrthümern weit hinter sich läßt. *)

*) Politische Skizzen u. s. w. S. 116 und ferner. Die betr. Stelle des Herrn Busch ist S. 40.

Die Erwähnung dessen mag genügen. Ueberhaupt aber ist die Zahl dieser Art von Büchern bereits Legion.
Dagegen unterlassen in der Regel derartige Schriften Bismarckischen Ursprunges auch der Stimmung zu gedenken, welche in jenen Junitagen durch die deutsche Nation ging. Das Volk kannte nicht die diplomatischen Actenstücke; aber so viel wußte Jeder, daß der Brunquell all’ des unendlichen Leidens und Jammers, an dessen Schwelle man stand, der Herr v. Bismarck war. Die Nennung dieses Namens erregte in dem friedlichen Bürger und Landmanne Zorn und Widerwillen. So im Norden, so im Süden, in Hannover, wie in München oder Stuttgart. In einigen Kleinstaaten, deren Regierungen moralisch längst auf ihre Selbstständigkeit verzichtet hatten, mochte diese Erregung der Gemüther gegen Herrn v. Bismarck als Urheber des hereinbrechenden Bürgerkrieges geringer sein: die Regierungen der Mittelstaaten nahmen Antheil und mußten Antheil nehmen an dieser Volksabstimmung.

Dieselbe regte sich nicht minder in vielen derjenigen Deutschen, denen das nicht beneidenswerthe Loos gefallen war als Unterthanen der Krone Preußen, als die ausführenden Werkzeuge der Politik des Herrn v. Bismarck zu dienen, und wider ihren Willen den Krieg zu ihren deutschen Nachbarn, in manchen Fällen zu ihren eigenen Blutsverwandten zu tragen.

Das eiserne Gesetz der militärischen Disciplin hielt jede Aeußerung dieser Gefühle nieder. Gemäß dem Systeme von Blut und Eisen ist der Mensch eine lebendige Maschine, die ein Zündnadelgewähr trägt, und mit demselben sich bewegt nach Befehl.

Herr v. Bismarck hatte seine Maßregeln so getroffen, daß der Krieg unvermeidlich war.

Die preußische Regierung hatte mit großer Fürsorge ihrem Gesandten am Bunde solche Instructionen gegeben, daß sie zu dem bestimmten Zwecke für mehrere Fälle ausreichten. Als die Abstimmung erfolgt war, begann der preußische Gesandte eine Erklärung zu lesen, welche von Seiten Preußens die Auflösung des Bundes verkündete.

Erst während des Lesens bemerkte er, daß er sich vergriffen hatte, daß er diejenige Instruction las, welche für den Fall der Ablehnung des österreichischen Antrages den Austritt Preußens aus dem Bunde verkündete.  Er steckte das Actenstück wieder ein, nahm das andere hervor, welches für den Fall der Annahme des österreichischen Antrages den Austritt Preußens erklärte. Er entfernte sich dann nicht, sondern blieb, und blieb auch dann noch, als der bayerische Gesandte nachwies, daß die Motivirung des preußischen Austrittes auf den eben gefaßten Bundesbeschluß, durch den sie herbeigeführt sein solle, in keiner Weise passe. *)

*) Tagebuch-Blätter u. s. w. S. 24 u. ferner.

Wir unserseits rechnen auch dies unter die Zahl der Irrthümer des Herrn v. Bismarck.

Hannover stimmte gegen die Mobilisirung der österreichischen Armeecorps und gegen die auf den Bundeskrieg bezüglichen Maßregeln. Es beschloß durch seine Motivirung jede Absicht einer Feindseligkeit gegen Preußen aus.

Es bewies dieselbe Richtung seiner Politik am selben Tage durch die That. Es entließ am selben Tage dieser Abstimmung den letzten Mann der österreichischen Brigade Klaik aus seinen Grenzen. Es gestattete am selben Tage dem preußischen Corps des generals Manteuffel, die Elbe von Altona her nach Harburg bundesfreundlich zu überschreiten.

So am 14. Juni 1866, an dem Tage, wo der König Wilhelm von Preußen in voller Vergessenheit dessen, was einst im Jahre 1815 sein Vater mit bindender Kraft für seine Nachfolger gelobt, in voller Vergessenheit ferner dessen, was er selber unaufgefordert und freiwillig genau sechs Jahre zuvor betheuert, den deutschen Bund für aufgelöst erklärte, deshalb für aufgelöst erklärte, weil die preußische Regierung dem deutschen Bunde die Annahme eines Antrages zur Last legte, den derselbe notorisch nicht angenommen, sondern verworfen hatte.

Am selben Nachmittage des 14. Juni 1866 hatte der Herr v. Bismarck einige Gäste zum Diner geladen. Eben war das Frankfurter Telegramm angekommen. Er trat frohlockend vor seine Gäste mit dem Rufe: 

„Je les tiens!“



Fortsetzung des Textes: 3 Abschnitt



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