Der Protest
des Königs von Hannover
gerichtet an die europäischen Mächte
gegen die Einverleibung seines Landes durch den König von Preußen
Wir Georg V. von Gottes Gnaden König von Hannover, königlicher Prinz von Großbritannien und Irland, Herzog von Cumberland, Herzog zu Braunschweig und Lüneburg &c. &c. &c.
Am 15. Juni d. J. hat Se. Majestät der König v. Preußen, unser leiblicher Vetter und bis dahin unser Verbündeter, unser Königreich mit Verletzung der heiligsten Rechte feindlich überfallen lassen.
Das Verhalten unserer Regierung während des Confliktes, der zu unserem tiefen Bedauern zwischen Oesterreich und Preußen ausgebrochen war, konnte keinen Grund für ein so ungerechtes Vorgehen darbieten.
Im Gegentheil, von dem aufrichtigsten und sehnlichsten Verlangen beseelt, die entstandenen Zerwürfnisse zwischen den beiden mächtigsten Gliedern des deutschen Bundes beigelegt zu sehen, und bestrebt, das Unglück zu verhüten, das aus einem Kriege zwischen Deutschen hervorgehen mußte, hat unsere Regierung Alles, was in ihren Kräften stand, gethan, um in freundlichen Beziehungen zu Oesterreich und zu Preußen, und so im Stande zu bleiben, in der Bundesversammlung im Geiste des Friedens und der Versöhnung zu wirken.
Da die preußische Regierung gegen uns den Wunsch ausgedrückt hatte, uns in einem eventuellen Kriege neutral zu sehen, sind wir auf diesen Wunsch eingegangen. Nur haben wir in Berlin erklären lassen, daß die besonderen Bestimmungen dieser Neutralität erst in dem Falle der thatsächlichen Auflösung des deutschen Bundes geregelt werden könnten. Unser Beitritt zu dem Vorschlage Preußens war vollkommen gerechtfertigt, weil das Bundesrecht, indem es den Bundesgliedern den Krieg unter sich verbot, ihnen folgerichtig auch untersagte, an einem Kriege theilzunehmen, der trotz jenes Verbotes zwischen zwei Bundesregierungen ausbrechen würde.
Zur scheinbaren Rechtfertigung der feindseligen Handlungen, deren Preußen sich gegen unser Königreich schuldig gemacht, hat man kürzlich in Berlin behauptet, daß wir während der erwähnten Neutralitäts-Verhandlungen gegen das Wiener Cabinet die Verpflichtung übernommen hätten, unsere Truppen gemeinsam mit dem in Holstein stehenden österreichichen Corps operieren zu lassen.
Diese Behauptung ist vollständig falsch.
Unsere Regierung hielt sich für gebunden durch die Versicherung, Neutralität beobachten zu wollen für den Fall der Auflösung des Bundesvertrages, und nur in dem Falle, daß unser Land durch Preußen angegriffen worden wäre, hätten wir die Hülfe angenommen, die Se. Majestät der Kaiser von Oesterreich uns anbieten ließ. Aber voll Vertrauen in die Loyalität der preußischen Regierung ließen wir Sr. kaiserlichen Majestät antworten, daß wir dieser Hülfe nicht zu bedürfen glaubten.
In Folge dessen hat jenes österreichische Truppencorps, welches Holstein besetzt gehalten, unser Land durchzogen, ohne Aufenthalt und auf kürzestem Wege, um sich nach dem Süden Deutschlands zu begeben.
Um dieselbe Zeit haben wir dem preußischen Armeecorps, welches unter Befehl des General-Lieutenants v. Manteuffel stand, die Erlaubniß zum Durchzuge durch unser Gebiet nach Minden gegeben.
Unser Verhalten hat demgemäß den Grundsätzen der strengsten Neutralität entsprochen.
Wir konnten damals nicht für möglich halten, daß der König von Preußen wenige Tage später dasselbe Armeecorps dazu benützen werde, um sich unseres Landes zu bemächtigen.
Unsere Armee befand sich auf dem vollständigen Friedensfuße. Denn wir verließen uns auf die uns zugesicherte Neutralität, deren Regociationen, obwohl vertagt, doch wieder zu gelegener Zeit aufgenommen werden sollten, nämlich in Betreff der speciellen Bedingungen ihrer Ausführung, den ausdrücklichen und wiederholten Erklärungen gemäß, welche unser Minister des Auswärtigen, Graf von Platen zu Hallermund, in dieser Angelegenheit dem preußischen Gesandten Prinzen Ysenburg gemacht hatte.
Unsere Regierung hatte mithin keine Pferde auflaufen lassen, noch hatte sie die geringste Maßregel getroffen, welcher man den Charakter einer millitärischen Rüstung beilegen konnte.
Alles was die preußischen Blätter seit Kurzem über die angeblichen Rüstungen in Hannover mitgetheilt haben, ist durchaus unbegründet, und hat nur dazu dienen sollen, die öffentliche Meinung irrezuführen und jene unerhörten Gewaltacte zu entschuldigen, welche gegen uns, unser Königreich und unsere Unterthanen verübt worden sind.
Stets von dem selben Geiste der Mäßigung, der Versöhnlichkeit und Unparteilichkeit beseelt, haben wir unserem Bundestagsgesandten den Auftrag ertheilt, sich in soweit gegen die österreichiche Proposition vom 14. Juni auszusprechen, als diese den Zweck hatte, den deutschen Bund gegen Preußen Partei nehmen zu lassen, und nur insoweit für die beantragte Mobilmachung zu stimmen, als diese nicht gegen die letztere Macht gerichtet war, und lediglich nur die Aufrechterhaltung der Ruhe und Sicherheit auf dem Bundesgebiete bezweckte.
Die Angriffe welche die preußischen Organe in jüngster Zeit gegen unsere Politik in dieser Beziehung vorbrachten, entbehren ebenfalls jeder Begründung.
Die Haltung, welche unsere Regierung seit Beginn des Conflictes eingenommen, ließ uns daher hoffen, daß unser Königreich und unsere getreuen Unterthanen von einem Kriege unberührt bleiben würden, dessen Ausbruch von Tag zu Tag näher heran zu drohen schien.
Aber in dieser Hoffnung wurden wir schmerzlich enttäuscht. Denn das Berliner Kabinet gab sich am 15. Juni d. J. den Anschein, als hätte es alle Antecedentien der Frage vergessen, und ließ unserer Regierung eine Sommation vorlegen, die keineswegs den Zwek hatte, uns aufzufordern zur definitiven und gegenseitigen Festsetzung der Bedingungen der Neutralität, die uns angeboten worden und die wir in Prinzipe acceptiert hatten. Vielmehr forderte die Sommation von uns, daß wir zu Gunsten von Preußen verzichten sollten auf wesentliche Prärogative unserer Souveränetät, daß wir die Unabhängigkeit unseres Königreiches und viele unantastbare Rechte unserer Unterthanen preisgeben sollen. Und alles, obwohl unsere Souveränetät und die Unabhängigkeit unseres Königreiches von ganz Europa anerkannt und garantiert worden war.
Man ließ uns nur einen Tag Bedenkzeit, und man bedrohte uns mit Krieg für den Fall, daß wir uns weigern würden, uns dem Willen Preußens zu unterwerfen.
Nachdem wir unsere Minister vernommen, faßten wir, auf ihren einmüthigen und unserer eigenen Anschauungsweise entsprechenden Rath, den Entschluß, dem Gesandten des Königs von Preußen erklären zu lassen, daß die Propositionen, die uns eben vorgelegt worden waren, unannehbar seien; daß jedoch unsere Regierung, in der unerschütterlichen Ueberzeugung, daß das Bundesrecht jeden Krieg zwischen Bundesgliedern verbiete, keine millitärische Masnahme ergreifen werde gegenüber der verbündeten preußischen Regierung, solange die Grenze Hannovers nicht angegriffen würden, und daß sie die Hoffnung nicht aufgebe, daß die freundnachbarlichen Beziehungen, welche bis dahin zwischen den beiden Regierungen bestanden hätten, auch fortan aufrecht erhalten bleiben würden.
Nachdem unser Entschluß dem preußischen Gesandten mitgetheilt worden, antwortete dieser mit einer Kriegserklärung, gegen welche unser Minister des Auswärtigen unverzüglich Protest einlegte.
Dies geschah um Mitternacht, in der Nacht vom 15. auf den 16. Juni d. J.
Fünf Uhr Nachmittags desselben Tages, nämlich des 15. Juni, befand sich das Armeecorps des Generals v. Manteuffel in der Umgebung von Harburg und nahm daselbst eine feindliche Stellung noch vor der Kriegserklärung an.
Wir überweisen dem Urtheile aller Rechtschaffenen dieses Vorgehen der preußischen Regierung, welche unser Vertrauen täuschte, indem sie uns die Erlaubniß entlockte, ihre Truppen durch unser Gebiet marschieren zu lassen, mit der geheimen Absicht, dasselbe mit Gewalt an sich zu bringen.
Wir überweisen dem Urtheile der civilisierten Welt diesen im vollen Frieden gegen das Land eines befreundeten, verwandten und verbündeten Fürsten verübten Angriff, und wir sind überzeugt, daß die ganze Welt mit uns diese schmähliche Verletzung der öffentlichen Moral, des Völker-und Vertragsrechtes und der Sitten der in staatlicher Ordnung lebenden Nationen verdammen wird.
Wir sind zugleich überzeugt, alle Unparteilichen werden unsere Ansicht theilen, daß die preußiche Regierung schon geraume Zeit den vorgefaßten und wohlbedachten Plan hegte, sich unseres Landes zu bemächtigen; daß der Vorschlag, neutral zu bleiben, der uns gemacht wurde, nur zum Zwecke hatte, uns in falsche Sicherheit zu wiegen; daß das Berliner Kabinet uns absichtlich erniedrigende Allianz-Bedingungen stellte, wohl wissend, daß wir dieselben nicht annehmen konnten, und daß es uns schließlich - welche Haltung wir auch immer eingenommen hätten - sehr schwer, wenn nicht unmöglich geworden währe, uns den Gewaltthätigkeiten der preußischen Regierung zu entziehen.
Da es für unsere Armee nicht möglich war, der Invasion der preußischen Macht, welche unser Land - dessen Grenzen sie seit mehreren Tagen besetzt gehalten - von allen Seiten hereinbrach, nachdrücklich Widerstand zu leisten, zogen wir unsere Truppen bei Göttingen zusammen, um sie unverzüglich aus dem preußischen Machtbereich zu führen.
In der Nähe von Eisenach angelangt, traten wir in Unterhaltung wegen der Waffenruhe, die uns angeboten und dann von beiden Theilen verabredet worden war. Allein ehe dieselbe noch abgelaufen war, sahen sich unsere Truppen in Folge eines Befehls vom General Vogel v. Falkenstein von der preußischen Armee angegriffen.
Es war dies eine zweite flagrante Verletzung aller Rechte und Gebräuche, welche bei civilisierten Völkern bestehen.
Obwohl sich unsere Armee auf dem Friedensfuße befand und ihre Kräfte in Folge von Strapazen, Entbehrung und forcierten Märchen, denen sie sich während mehr als acht Tagen unterziehen mußte, sehr erschöpft waren, errang sie dennoch bei Langensalza einen glänzenden Sieg über die Preußen.
Den nächsten Morgen sahen wir sie unglücklicher Weise von einer dreifach überlegenen Macht umzingelt, und da wir auf keine Hülfe hoffen konnten, entschlossen wir uns, um nicht unnützer Weise das Blut unserer tapferen Soldaten zu vergießen, eine Capitulation anzunehmen.
Sobald der Krieg zwischen Oesterreich und Preußen sich seinem Ende zuzuneigen schien, begaben wir uns nach Wien, wo die Friedensverhandlungen so eben eröffnet wurden, und richteten an Se. Majestät den König von Preußen, der sich Nikolsburg befand, ein Schreiben, in welchem wir ihm unsern aufrichtigen Wunsch ausdrückten, unserseits in Friedensverhandlunbgen mit ihm zu treten.
Gegen alle Gebräuche, welche zwischen Souveränen bestehen, wurde unser Schreiben von Sr. Maj. dem König von Prußen nicht angenommen.
Trotzdem versuchten wir, uns die Erhaltung unseres Königreichs durch alle Mittel, die in unserer Macht standen, zu sichern. Wir waren sogar geneigt, uns unserer königlichen Rechte zu Gunsten unseres vielgeliebten Sohnes und Kronerben, Sr. königl. Hoheit des Prinzen Ernst August, für den Fall zu gegeben, daß Preußen ihn unverzüglich in den Besitz der Krone des Königreichs Hannover setzen würde. Anderseits ließen unsere treuen Unterthanen, die muthig der harten, willkürlichen und despotischen Herrschaft, welche ihnen die preußische Verwaltung auferlegt hatte, Widerstand leisteten, keine Gelegenheit vorübergehen zur Kundgebung ihres heißen Wunsches, unter einer Dynastie zu verbleiben, welche ihnen theuer ist, welche mit ihnen seit tausenden Jahren das Schicksal des Landes getheilt und die alle Anstrengungen gemacht hat, dessen Gedeihen zu sichern und dessen Wohlfahrt zu befestigen.
Unsere Bemühungen waren vergeblich.
Se. Maj. der König von Preußen hat, nachdem er unser Königreich auf eine heimtückische Weise ocupiert hatte, geglaubt, von demselben definitiv Besitz ergreifen zu können, und hat es den 20. September d. J. als seinen Staaten einverleibt erklärt.
Der einzige Grund, welchen die preußische Regierung zur Rechtfertigung dieses in der Geschichte Deutschlands unerhörten Aktes der Willkür anführt, ist derjenige, welchen sie in dem Rechte der Eroberung zu finden behauptet.
Das Recht der Eroberung setzt einen Krieg nach den Prinzipien des Völkerrechts voraus. Allein es gab niemals zwischen uns und dem Könige von Preußen einen solchen Krieg. Er konnte auch, wie wir es schon oben gesagt, nach den Grundgesetzen des deutschen Bundes gar nicht stratthaben, und hätte moralisch unmöglich sein sollen von Seiten eines nahen Verwandten, eines befreundeten Souveräns, eines deutschen Fürsten.
Wir befanden uns daher lediglich in dem Falle der Notwehr gegen einen Angriff, den nichts rechtfertigte und den wir nicht hervorgerufen haben.
Angesichts der angeführten Thatsachen protestieren wir laut und feierlich
gegen die unrechtmäßige Invasion in unserem Land, die sich die Armeekorps des Königs von Preußen am 15. Juni und den folgenden Tagen erlaubt haben:
gegen die Okkupation unseres Königreiches durch diese Truppen;
gegen die Usurpation unserer Rechte und Prärogative, welche die Agenten Preußens verübt haben und noch weiter verüben werden;
gegen die Beschädigung an unserem Eigenthum, unseren Einkünften und Gütern jeglicher Natur, welche wir und unser königliches Haus von Preußen erlitten und noch weiter erleiden werden;
gegen die Beraubung, welche der hannoversche Staatsschatz unter der preußischen Verwaltung erfahren hat und noch ferner erfahren wird;
gegen die Verfolgung; Verluste und Benachtheiligungen, denen unsere treuen Unterthanen in Folge der ungerechten und ungesetzlichen Akte der Verwaltung des Königs von Preußen ausgesetzt waren oder in der Folge sein werden;
gegen die Hindernisse, welche die genannte Verwaltung auf brutale Weise den Kundgebungen unserer vielgeliebten Unterthanen für die Erhaltung unserer Dynastie und der Unabhängigkeit Hannovers in den Weg gelegt hat, während sie durch die unlautersten Kunstgriffe Kundgebungen im entgegengesetzten Sinne hervorgerufen und begünstigt hat;
gegen das unerhörte Verfahren des Königs von Preußen, welcher die Schritte zurückgewiesen hat, die wir bei ihm oder seiner Regierung gemacht oder zu machen befohlen, um den Frieden zwischen uns herzustellen.
Schließlich protestieren wir vor Allem, angesichts der ganzen Welt, gegen die Besitzergreifung unseres Königreichs und desses Einverleibung in Preußen, welche als endgültig vollzogen den 20. September d. J. angekündigt wurde, sowie gegen alle Folgen dieses Aktes, indem wir erklären, daß diese Einverleibung oder Annexion eine unwürdige Usurpation, ein verbrecherischer und verabscheuungswürdiger Raub, eine flagrante Verletzung der europäischen Verträge, aller Grundsätze des Völkerrechts und der Unverletzlichkeit der Staaten und Kronen ist.
Diese feierliche Erklärung, die wir auch für unsere gesetzlichen Nachfolger ablegen, hat hauptsächlich den Zweck, die Souveränitätsrechte sicherzustellen, die uns kraft des Erbfolgerchtes gebühren und die von allen Mächten Europa's sanktioniert und garantiert worden sind.
Wir rufen die Unterstützung aller Mächte an, welche unsere Souveränität und die Unabhängigkeirt unseres Königreiches anerkannt haben, in der Überzeugung, daß diese niemals Macht vor Recht gehen lassen werden. Denn ein derartiges Prinzip, wie es heute von Preußen angewendet wird, müßte in Zukunft die Existenz aller Monarchien und aller legitimen Staaten der Welt bedrohen.
Wir erklären schließlich, daß wir niemals auf die Souveränitätsrechte über unser Land verzichten werden, und daß wir stets für ungesetzlich, null und nichtig alle jene Akte ansehen werden, welche die preußische Regierung oder ihre Agenten daselbst vollzogen haben oder noch vollziehen werden in Folge der Usurpation, deren Verantwortlichkeit wir auf Denjenigen zurückwerfen, der ihr Urheber ist.
Mögen alle Diejenigen, die dabei betheilgt sein können, dieses wohl in Acht nehmen und beherzigen!
Wir sehen den künftigen Ereignissen mit vollem Vertrauen in die Gerechtigkeit unserer Sache entgegen und sind von der steten Hoffnung beseelt, daß die göttliche Vorsehung nicht säumen wird ein Ziel zu setzen den arglistigen Anschlägen, Ungerechtigkeiten und Gewaltakten, deren Opfer mit uns und unseren getreuen Hannoveranern noch so viele Staaten und so viele Völker geworden sind.
Hietzing bei Wien, den 23. September 1866
Georg Rex.
Graf von Platen zu Hallermund