Romkerhall
Geschichte der Königlich- Hannoveranischen- Kammergut- Staatsdomäne Romkerhall

B.

Operationen der Armee vom Aufbruche aus der Stellung bei Göttingen bis zum Ende des Feldzuges in Folge der Capitulation von Langensalza.



In dem Maße, als der Feind sich der Stellung bei Göttingen näherte, war das Bedürfniß einer festen Entscheidung über den weiter zu verfolgenden Plan dringender geworden. Die Stimmen im Rathe des Königs und im Hauptquartiere der Armee waren getheilt. Eine Idee war, in der Stellung bei Göttingen ruhig den Angriff des Feindes zu erwarten; eine andere, sich in den Harz zurückzuziehen, wo man sich länger halten zu können und dadurch Zeit zu gewinnen hoffte. Ueberwiegend war die Ansicht, daß die militärische Verbindung mit den Bayern oder auch mit den kurhessischen Truppen zu erstreben sei. In dieser Absicht waren auch bereits Officiere &c. in vertraulicher Weise abgesandt, um die betreffenden Befehlshaber aufzusuchen und dieselben zu veranlassen, durch ein rasches Vorrücken gegen Norden unsere Armee entgegen zu kommen. Dabei war der Plan, von Göttingen über Witzenhausen und Allendorf auf Eschwege, von dort aber, je nach den Umständen, auf Eisenach oder auf Bebra zu marschieren. Man hoffte diesen Marsch noch unbehindert durch den Feind ausführen zu können, weil man voraussetzte, das Vorgehen der Division Beyer würde durch ein rasches Vorrücken des 8. Bundes-Armeecorps von Frankfurt her paralysirt werden. Obschon diese Voraussetzung sich nicht erfüllte, vielmehr am Mittage des 19. Juni die Nachricht von dem Einrücken der Preußen in Cassel eintraf, so wurde dennoch der Abmarsch nach Süden zur Vereinigung mit den Bayern &c. in der Richtung über Eschwege am 20. Juni Morgens definitiv beschlossen.

Sämmtliche Bestimmungen für diesen Marsch waren bereits an die Truppen ausgegeben, als man sich noch für eine andere Marschrichtung, nämlich auf Heiligenstadt, und von da an in 2 Colonnen über Mühlhausen und Wanfried nach Eisenach, entschied. Diese Richtung war schon vorher in Betracht gezogen, aber nicht adoptirt, weil man den geradesten Weg durch Hessen vorzog. Indem nun aber die Wahrscheinlichkeit zunahm, vielleicht bei Witzenhausen schon auf den Feind zu stoßen, und demnächst in den schwierigen Defiléen, welche die erstgewählte Marschlinie darbietet, durch Gefechte unter ungünstigen Umständen aufgehalten zu werden, der Marsch durch Thüringen dagegen weniger Schwierigkeiten und eventuell günstigere Gefechtschancen versprach, so änderten diese Erwägungen den ersten Entschluß, und es wart am Nachmittage des 20. Juni diejenige Marsch-Disposition adoptirt, welche sich (als Nr. 8) unter den Anlagen befindet.

Für den Abmarsch der Armee und deren Verhalten in dem zu betretenden feindlichen Gebiete, erließ das General-Commando, - abgesehen von den schon früher hervorgehobenen Maßregeln in Bezug auf Fuhrwesen, Sanitäts-Anstalten &c., - noch folgende Bestimmungen:

1. Die Truppen-Bagage ist zu beschränken: per Bataillon (excl. der Munitions- und Sanitäts-Wagen, die aber nur bei einem Theile vorhanden waren) auf 4, per Cavallerie-Regiment ebenfalls auf 4 Wagen; die Batterien dürfen nur die zu ihrer Ausrüstung gehörenden Königl. Fuhrwerke mitführen. Alles auf solche Art nicht zu transportirende Eigenthum der Truppen muß in den Cantonnements zurückbleiben. Auf dem Marsche folgt die Bagage an der Queue jeder Brigade dicht aufgeschlossen.

2. An Lebensmittel und Fourage ist, von Mannschaft und Pferden getragen, aus den Cantonnements mitzunehmen, so viel zu erlangen ist. Dieser eiserne Bestand ist nur im größten Nothfalle anzugreifen.

3. Auf dem Marsche schwer erkrankende Leute sind in den Marschquartieren zurückzulassen und der Fürsorge der betreffenden Ortsobrigkeit zu übergeben.

4. Die laufende Verpflegung ist durch directe Requisitionen zu beschaffen. Diese sind thunlichst durch vorauszusendende Officiere mit entsprechenden Detachements auszuführen, wobei in den Brigaden einheitlich zu handeln ist. Die Officiere verpflegen sich auch im feindlichen Lande auf eigene Kosten.

Ueber sämmtliche Leistungen der Einwohner und der Gemeinden sind, behuf deren Liquidation bei ihrer Regierung, ordnungsmäßige Quittungen zu ertheilen. Jede Requisition zu Privatzwecken ist untersagt. Gewaltmaßregeln sind zu vermeiden.

Nach weiteren Anordnungen des General-Commandos erhielt der Arme-Train als permanente Bedeckung eine Schwadron des Königin-Husaren-Regiments, später am 22. Juni (wegen häufiger Trennung der Batterien von der Munitions-Colonne und dem Geschütz-Parke des Artillerie-Depots) auch noch 1 Compagnie vom 1. Bataillon des Garde-Regiments zugetheilt. Eine Schwadron des Regiments Herzog von Cambridge-Dragoner bildete vom 22. Juni an die persönliche Schutzwache für Seine Majestät den König. Die Stabswoche des Armee-Hauptquartiers (1 Officier, 6 Unterofficiere und Corporale, 1 Spielmann, 50 Infanteristen) wurde als permanent vom 18. bis 21 Juni vom 1. Bataillone des Garde-Regiments gegeben. Außerdem waren 1 Unterofficier und 12 Mann von der Cavallerie als permanente Ordonnanzen zum Hauptquartiere der Armee commandirt.

Die in Northeim stehende Avantgarde der Brigade de Baur, befehligt vom Major Brauns 3. Infanterie-Regiments, erhielt den Auftrag, die Arriergarde der Armee zu bilden. Als solche sollte sie bis zum Abend des 21. Juni bei Northeim stehen bleiben und sich alsdann (die Infanterie eventuell per Eisenbahn) nach Göttingen zurückziehen. Die bei Rotenkirchen, Moringen und Hardegsen stehenden Beobachtungsposten sollten ebenfalls am 21. noch stehen bleiben und sich bei Göttingen der Arriergarde anschließen.

Die Meldung von dem Anrücken starker Angriffscolonnen auf Northeim verursachte dort spät Abends am 20. Juni einen Allarm, welcher den Commandeur der Arriergarde veranlaßte, sich gegen Nörten zurückzuziehen. Die 2. Brigade wurde dadurch allamirt, die erwähnte Nachricht auch in's Hauptquartier gemeldet. Bei näherer Aufklärung stellte sich jedoch die Grundlosigkeit derselben heraus, worauf Northeim sofort wieder durch die Arriergarde besetzt wurde. Letztere war inzwischen ander formirt, und bestand fortan unter dem Commando des Obersten von der Decken aus dem 1. Jäger-Bataillon und 1 Schwadron Herzog von Cambridge-Dragoner.